Christchurch: Abschied von Neuseeland

Christchurch: Abschied von Neuseeland

Als wir unseren Campervan vor zwei Monaten gekauft hatten wussten wir, dass wir etwa eine Woche für den Verkauf einplanen sollten. Und später ist uns auf unserer Reise durch Neuseeland, wie zur Bestätigung, die eine oder andere Geschichte zu Ohren gekommen, in der Reisende innerhalb von nicht einmal 24 Stunden ihren Van oder ihr Auto loswerden wollten.

Es konnte ja niemand ahnen, dass das bei uns so viel schneller gehen würde und wir nun fast eine Woche in Christchurch hatten. Aber es gibt ganz sicher schlechtere Orte, an denen man eine entspannte Woche verbringen kann. Wir haben jedenfalls versucht, es ruhig angehen zu lassen, wurden aber von den vielfältigen Sehenswürdigkeiten der Stadt zu sehr gelockt, um auch nur an einem einzigen Tag gar nichts zu tun.

Eine erschütterte Stadt

Christchurch wurde maßgeblich von den verheerenden Erdbeben 2010 und 2011 geprägt. Ganz Neuseeland liegt in einer tektonisch sehr aktiven Zone und wird fast stündlich von Erdbeben heimgesucht. Die allermeisten davon finden allerdings unter der Wahrnehmungsgrenze statt und sind nur von Messinstrumenten erkennbar. Trotzdem hatte Christchurch seit Mitte des 20. Jahrhunderts kein größeres Erdbeben mehr erlebt. Daher kam das erste Beben am 4. September 2010 so völlig unerwartet.

Trotz einer Stärke von 7,1 auf der Richterskala gab es damals auch noch keine Toten zu beklagen und die meisten Gebäude kamen mit einigen wenigen Schäden davon. Das große Nachbeben am 22. Februar 2011 war mit 6,3 auf der Richterskala zwar etwas weniger stark, wurde aber für Christchurch zum Verhängnis. 80% der Gebäude in der Innenstadt stürzten ein oder wurden so sehr beschädigt, dass sie abgerissen bzw. abgetragen werden mussten. Weitaus schlimmer wiegen jedoch die 185 Toten, die dieses Beben forderte.

Die Innenstadt Christchurchs war danach wochenlang nicht betretbar und allein die Aufräumarbeiten dauerten Jahre. Inzwischen sind zumindest die Abrissarbeiten abgeschlossen. (Wobei „Abriss“ meist bedeutete, dass die Gebäude mühsam zurückgebaut werden mussten. Denn ein mehrstöckiges Bauwerk inmitten anderer Häuser und Straßen sprengt man nicht einfach in die Luft.) Der Wiederaufbau wird jedoch noch Jahre dauern.

Aufbau

Da, wo ehemals etablierte Strukturen zerstört wurden, taten sich nach 2011 aber auch Möglichkeiten für ganz viel Kreativität und neue Ideen auf. Da das Ausgehviertel in der Innenstadt mit seinen Bars und Restaurants nicht mehr existierte, schossen Pop-Up-Stores und innovative Start-Ups aus dem Boden. Teilweise findet man diese noch heute: Foodtrucks beispielsweise scheinen nach wie vor sehr beliebt zu sein, selbst wenn der Biergarten drum herum inzwischen sehr permanent wirkt. Und allenthalben stolpert man über kreative Projekte, nicht nur klassische Streetart, die den neu gewonnenen Raum nutzten.

Die RE:Start-Mall, die meine Oma noch auf ihrem Google Streetview Rundgang durch Christchurch sehen kann, gibt es nicht mehr. Hier soll wieder ein richtiges Gebäude entstehen. Aber dass hier ein provisorisches Einkaufszentrum aus Frachtcontainern errichtet wurde spricht Bände.

Trotz all dieser Energie und des Mutes vieler Menschen, weiterzumachen und Neues auszuprobieren, hat Christchurch zu kämpfen. Viele Einwohner sind abgewandert, der Tourismus blieb für sehr lange Zeit aus. Die Infrastruktur ist vielleicht in manchen Teilen noch nicht das, was sich die Bewohner wünschen. Mit Veranstaltungen und verschiedensten Initiativen versucht man, dem entgegenzuwirken und Christchurch wieder attraktiv für Neuseeländer und Besucher von außerhalb zu machen.

Streifzüge durch Christchurch

Christchurch, das auch vor den Erdbeben als „Gartenstadt“ bekannt war, verdient diesen Namen auch danach noch. Der Botanische Garten ist wirklich sehr beeindruckend. Einmal abgesehen von meinem neu erwachten Heuschnupfen verbrachten wir einige schöne Stunden dort. (Der Sonnencreme-Spender, den wir dabei entdeckten – und nutzten! – ist übrigens nur ein weiteres Beispiel dafür, wie sich Regierung und andere Organisationen in Neuseeland um ihre Bewohner und Besucher kümmern.)

An anderer Stelle schlenderten wir durch die New Regent Street. Diese war die erste Einkaufsstraße, die nach den Erdbeben im Zentrum wieder aufmachte. Heute ist sie mehr bekannt dafür, dass die pastellfarbenen Häuser im spanischen Missionsstil erbaut wurden, was merkwürdig deplatziert wirkt. Allerdings verschwinden die Gebäude ohnehin fast hinter den Ladenfronten – darunter ein Bäcker mit den leckersten Cookies Christchurchs!

Das Gebäude, das sich nach den Erdbeben jedoch am meisten in die Herzen der Bewohner Christchurchs geschlichen hat, ist die Transitional Cathedral, also die „Übergangskathedrale“. Im Volksmund wird sie auch Cardboard Cathedral („Pappkathedrale“) genannt, weil ihr Dach aus 98 Kartonröhren besteht. Es musste halt schnell gehen nach dem Erdbeben. Was aber nur als temporäre Lösung gedacht war, bis die stark beschädigte St. Johns Kirche wieder aufgebaut ist, wird wohl auch darüber hinaus Bestand haben.

Die Wände der Kirche sind übrigens auch aus Schiffscontainern gefertigt und insgesamt sind deutlich mehr Materialien zum Einsatz gekommen als „nur“ Karton. Das verwunderte uns zunächst, weil wir uns in guter Travel-Dvootes-Manier zuvor nicht wirklich informiert hatten und nur den inoffiziellen Namen der Kirche kannten. Ein kleines Trostpflaster war, dass wir just in eine Chorprobe hineinplatzten. Diese sorgte zumindest bei mir für ein kleines Päuschen zum Luftholen (Jan kann mit Kirche und Kirchenmusik bekanntlich wenig anfangen), hatte allerdings auch ein Fotoverbot während der Probe zur Folge. Also müsst ihr einmal wieder mit unserer schriftlichen Berichterstattung Vorlieb nehmen. (Oder mit dem, was das Internet sonst noch an Informationen zu bieten hat…)

Ausflug in die Antarktis

Da ein Großteil der antarktischen Expeditionen von Christchurch aus starten, nennt sich die Stadt nicht nur „Gartenstadt“, sondern auch „Tor zur Antarktis“. Dementsprechend folgerichtig ist es wohl, dass  man hier das International Antarctic Centre eröffnete. Hier lernt man nicht nur allerhand über die Antarktis – ihre Entstehung, die Geschichte ihrer Entdeckung und aktuelle klimatische Entwicklungen. Man darf unter anderem auch mit einem sogenannten Hägglund mitfahren, einem für entlegene, unwirtliche Gegenden ausgelegten Gefährt, welches tagtäglich in der Antarktis zum Einsatz kommt.

Außerdem gibt es 4D-Filme, die im weitesten Sinne mit der Antarktis zu tun haben und in denen man vor allem ordentlich durchgerüttelt und mit viel Wasser bespritzt wird. Und es gibt einen Kälteraum, in dem man sich einem simulierten Sturm aussetzen kann, der die Temperatur auf -18 °C und weniger herabsetzt. Das habe ich tatsächlich nur mit der zur Verfügung gestellten Daunenjacke ausgehalten.

Ein Highlight für uns war trotz all der Hightech drumherum die Pinguinfütterung. Im Antarctic Centre haben nämlich Zwergpinguine eine Zuflucht gefunden, die aufgrund verschiedenster Unfälle in freier Wildbahn nicht überlebensfähig wären. Bei der Fütterung wurden uns ihre Geschichten erzählt. Beispielsweise die von der Pinguindame, die einen schlimmen Angriff, vielleicht von einem Hai, überlebt haben muss, aber seitdem Angst vor Wasser hat. Oder die von dem kleinen Pinguin, der einen Zusammenstoß mit einem Jetski hatte, der aber zumindest von dem Jetskifahrer gerettet und ins Centre gebracht wurde. Und natürlich all die Geschichten von Pinguinen, die bei Zusammenstößen mit Menschen, Booten, Müll verletzt und beinahe umgekommen wären. Ein eindrückliches Zeichen auch dafür, wie viel Schaden Unaufmerksamkeit und Ignoranz im Kleinen wie im Großen anrichten kann.

Feuerwerk

Neben dem, was Christchurch so an „festen“ Installationen zu bieten hat, nutzten wir den Umstand, dass hier gefühlt jede Woche irgendetwas los ist. Gleich am ersten Tag unseres Aufenthalts in der Stadt fanden die New Brighton Fireworks statt. Dieses Feuerwerk am Pier von New Brighton scheint das Ereignis in diesem Vorort von Christchurch zu sein und lockt jährlich tausende von Besuchern an.

Zugegebenermaßen hatten wir ein wenig mehr erwartet. Aber wir sind natürlich auch von den Kölner Lichtern mehr als verwöhnt. Trotzdem war es ein schönes Feuerwerk und so am Strand eine ganz eigene Atmosphäre. Ob uns allerdings das Wettrennen auf den besten Platz in der Warteschlange für Busse zurück in die Stadt mehr im Gedächtnis bleiben wird, kann nur die Zeit zeigen.

Lichterfest

Noch ein bisschen mehr Glück hatten wir damit, dass in Christchurch eine recht große indische Gemeinde lebt. Denn natürlich hätten wir Diwali gerne in Indien gefeiert, aber das gibt unsere Reiseplanung leider nicht her. So aber konnten wir zumindest ein bisschen gutes indisches Streetfood kosten und ein paar wirklich gute (und ein paar wirklich schlechte) Darbietungen indischer Tänze und Gesänge sehen.

Für zwei Tage nämlich war der zentrale Platz Christchurchs, der Cathedral Square, dem indischen Lichterfest vorbehalten. Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen! Wie meist bei solchen Festen gab es auch hier vor der Bühne mindestens eben so viel zu gucken wie auf der Bühne. Da stand die schlechteste „lebende Statue“ in starkem Kontrast zu all den herausgeputzten und festlich gekleideten Inderinnen. Der bemüht cool dreinschauende Securitymann vor der Bühne war deutlich authentischer als die in Saris geschlungenen Engländerinnen, die verloren durch die Menge irrten.

Ein bisschen was für die Bildung

Nicht zuletzt nutzten wir unsere Zeit in Christchurch für den Besuch einiger Museen. Die Stadt verfügt nämlich gleich über mehrere exzellente Einrichtungen, von denen wir aber nur eine kleine Auswahl anschauen konnten.

Die Christchurch Art Gallery besuchte ich noch allein. Währenddessen erfuhr Jan in Quake City mehr über die Erdbeben und die damit verknüpften Schicksale. Ins Canterbury Museum gingen wir dann aber doch lieber wieder gemeinsam. Dieses Museum ist eine Mischung aus gut gemachtem Heimatmuseum, Naturkundemuseum, Geschichtsmuseum und Kuriositätenkabinett.

Abschied – aber sicher nicht für immer!

Dergestalt gingen unsere letzten Tage in Neuseeland schnell vorbei. Die meiste Zeit hatten wir in diesem wunderbaren Land zu zweit verbracht – und das war gut und richtig schön! Aber immer wieder haben wir auch ganz tolle Menschen kennengelernt. Manche davon nur kurz während eines Gesprächs. Die beiden älteren Engländer beispielsweise, mit denen wir unsere ersten Pinguine erspäht hatten. Bei anderen durften wir sogar übernachten. Wir haben auch alte Freunde wiedergetroffen und ein paar wenige neue gemacht, von denen wir hoffen, sie irgendwann einmal wiederzutreffen.

Die letzten neuen Freunde, die wir gefunden haben, waren Ulli und Stephan. Wie passend also, dass diesen beiden kurz nach uns ebenfalls in Christchurch eintrafen. Nachdem auch sie ihr Auto verkauft hatten, blieb sogar noch ein wenig Zeit für ein Wiedersehen. So trafen wir uns an unserem letzten Abend noch auf stilechte Burger und Bier in einer der bereits erwähnten Biergarten-/Foodtruck-Kombinationen. Wie immer mit netten Menschen war auch dieser Abend viel zu kurz. Wir hoffen aber inständig auf besagtes Wiedersehen.

So richtig konnten wir noch gar nicht glauben, dass wir dieses Land schon wieder verlassen mussten, als das Flughafenshuttle uns in aller Herrgottsfrühe abholte. Natürlich wartete mit Australien ein weiteres, wunderbares, aufregendes Land auf uns. Aber unser Roadtrip in Neuseeland… Das war schon etwas Besonderes. In dieses Land haben wir uns ganz einfach verliebt.

4 Comments

  1. Ich denke auch, dass das nicht euer letztes Mal in Neuseeland gewesen ist und mit dem Gedanken im Hinterkopf wünsche ich euch, dass ihr euch genauso in Australien verlieben werdet (nur eben ein wenig anders). 😉

  2. Was für ein fulminanter Abschied von Neuseeland. Da war ja fast alles dabei, als habe sich Neuseeland hier für euch noch einmal in all seinen Facetten zeigen wollen.
    Beeindruckende Bilder, die Kirche, ich hoffe, sie wird bleiben. Sie sieht einfach toll aus. Und Maria, die Konstruktion aus Pappe war doch sicher ganz auf deiner Linie?!

    Kirsten55
    1. Das waren in der Tat nochmal ein paar bunte Tage noch dazu mit gutem Wetter.

      Ich glaube wir beide hatten uns unter der Cardboard Cathedral tatsächlich eine richtige Pappkirche vorgestellt. Dieses Gebäude sah dann aber doch mehr nach einem dauerhaften Haus aus. Dennoch, ein interessantes Stück Architektur.

      Jan

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