Nachdem wir uns so einen Rüffel eingefangen haben, weil wir in die Silbermine von Potosí gegangen sind, haben wir beschlossen, künftig keine unterirdischen Minen mehr zu besuchen. Glücklicherweise gibt es ähnlich heimelige Orte auch oberirdisch, beispielsweise auf Java in Indonesien. Ganz am östlichsten Ende der Insel wird im Gunung Ijen Schwefel abgebaut. So ein Vulkankrater (Gunung bedeutet „Vulkan“ auf Bahasa Indonesia) hat den großen Vorteil, dass einem darin nicht die Decke auf den Kopf fallen kann.
Sofern es um Arbeitssicherheit geht, macht das den Ijen selbstverständlich um keinen Deut besser als besagte Silbermine. Der Kawah Ijen, also der Krater des Vulkans, wird gerne als der giftigste Ort der Welt bezeichnet. Mit Sicherheit ist es einer der giftigsten Arbeitsplätze der Welt, und zwar einer, an dem die Arbeiter keinerlei Schutzkleidung gestellt bekommen.
Eigentlich wird Schwefel sehr günstig und ich reichlichen Mengen als Abfallprodukt bei der Erdöl- und Erdgasdestillation gewonnen. Trotzdem schädigen die Minenarbeiter am Ijen ihre Gesundheit aufs schwerste, um Schwefel zu stechen. Die giftigen Dämpfe des Vulkans führen zu Lungenkrankheiten und Vergiftungen. Von der harten körperlichen Arbeit einmal ganz zu schweigen. Atemschutzmasken, wie wir sie uns für die Besteigung geliehen haben, können sich die wenigstens Arbeiter leisten. Und wenn sie doch einmal eine Maske geschenkt bekommen, ist der Filter in kürzester Zeit zugesetzt.
Man sagt, die Lebenserwartung eines Schwefelstechers im Ijen beträgt 49 Jahre. Eigentlich werden Männer in Indonesien durchschnittlich 70 Jahre alt. Es erscheint rätselhaft, warum Menschen sich dem aussetzen. Doch in dieser Gegend Indonesiens gibt es kaum andere Jobs und trotz des mageren Lohns verdienen die Minenarbeiter immer noch mindestens das Doppelte von dem, was sie auf den Reisfeldern bekämen. Falls sie dort überhaupt Arbeit fänden, was meist ohnehin nur wochenweise wäre. Den Schwefel im Kawah Ijen können sie jeden Tag stechen, 365 Tage im Jahr. Denn ihre Arbeitskraft ist sogar noch günstiger, als es industriell gewonnener Schwefel ist.
Die Zukunft der Schwefelstecher?
Die letzten Jahre jedoch verheißen ein wenig Hoffnung für die Arbeiter am Ijen. Der internationale Tourismus hat den Vulkan entdeckt und jeden Tag strömen hunderte Besucher auf den Ijen. Die Minenarbeiter verkaufen kleine Souvenirs aus Schwefel an die Touristen und viele verdingen sich inzwischen als „Taxifahrer“ für die besonders Lauffaulen unter den Besuchern. Wobei ein „Taxi“ am Ijen bedeutet, dass sich der Fahrgast in einen gepolsterten Stuhl auf Rädern setzt und er dann von drei bis vier Mann den Berg hinaufgezogen und -geschoben wird.
Sicher keine leichte Arbeit, aber eine, die besser bezahlt wird und gesünder ist als die Arbeit im Vulkan. Und mir persönlich ist so etwas immer noch tausendmal lieber als die bedauernswerten Lastpferde und -mulis, die man andernorts sieht.
Ein besonderer Vulkan
Aus touristischer Sicht – und damit zugegebenermaßen auch aus unserer Sicht – ist der Gunung Ijen aus dreierlei Gründen spannend. Zunächst ist es natürlich etwas ganz Besonderes, am Krater eines noch aktiven Vulkans zu stehen. Da fühlten wir uns ganz plötzlich sehr klein und wurden sehr ehrfürchtig angesichts der schieren Naturgewalt, die dort unter uns zu ahnen war.
Doch der Ijen ist nicht irgendein Vulkan, sondern einer, in dem Schwefel abgebaut wird. Klar hofften wir auf einen Einblick in diese Arbeit und darauf, Minenarbeitern zu begegnen. Der menschliche Aspekt war auch für uns ein starker Grund, diese Exkursion zu machen.
Zu guter Letzt kann man im Ijen ein Naturphänomen bestaunen, dass es nur an ganz wenigen Orten der Welt zu sehen gibt. Die aufsteigenden Schwefelgase reagieren mit dem Sauerstoff der Luft und entzünden sich zu einer geisterhaften blauen Flamme. Diese kann man allerdings nur nachts sehen, wenn es noch absolut finster ist.
Warten
Um dieses blaue Feuer zu sehen, muss man möglichst bereits um ein Uhr morgens am Fuß des Vulkans sein. Dann nämlich werden die Zugänge geöffnet. Früher kommt hier niemand hinauf, nicht einmal die Schwefelarbeiter selbst. Viele von ihnen fangen mitten in der Nacht mit der Arbeit an, denn dann ist es noch kühl und auch die giftigen Dämpfe sind ein wenig erträglicher.
Die Mopedfahrt zum Ijen hatte anderthalb Stunden gedauert, kürzer als befürchtet. Jan und ich hatten also noch Zeit, als wir am Parkplatz ankamen. Es war mit 5 – 10 °C furchtbar kalt. Wir befanden uns immerhin fast 1.900 Meter ü. N. N. Vor den kleinen Warungs, die um den Parkplatz verteilt waren, saßen Männer an Feuerchen und wärmten sich. Wie gerne hätte ich mich dazu gestellt, aber da siegte dann doch die Scheu.
Stattdessen bestellten wir in einem der Warungs zwei Instant-Cappuccinos zum Aufwärmen und lernten nebenbei einen der Tourguides kennen, die hier am Vulkan arbeiten. Er erklärte uns, dass die jungen Männer, die an den Feuern und in den Garküchen warteten, nicht die Minenarbeiter waren, sondern ebenfalls Tourguides oder eben „Taxifahrer“.
Als wir später am Ticketschalter standen und immer noch wie die Schneider froren, fuhren jede Menge Männer auf Mopeds vor. Sie alle hatten einfache Kleidung und Gummistiefel an. Waren das nun die Schwefelstecher? Wir wissen es bis heute nicht.
Aufstieg
Indonesisch-pünktlich um einige Minuten nach eins hatten wir unsere Tickets in der Hand. Vor dem Ticketschalter für einheimische Besucher stauten sich noch die Tourgruppen, als wir uns an den Aufstieg machten. So groß war unser Vorsprung, dass wir die lange Reihe von Taschenlampen weit hinter uns sahen, als wir schon ein Drittel des Weges hinter uns gebracht hatten.
Noch einmal anderthalb Stunden brauchten wir für die drei Kilometer und 450 Höhenmeter. Links und rechts des Weges sahen wir praktisch nichts und über uns Sterne über Sterne. Die Milchstraße zog sich quer über den Himmel und wir konnten nur wieder staunen. Das letzte Mal, das wir einen so klaren Sternenhimmel gesehen haben, muss in Neuseeland gewesen sein.
Abstieg in den Krater
Am Kraterrand angekommen waren wir immer noch die einzigen Personen und wussten nicht so recht, wie weiter. Denn von hier oben war von den blauen Flammen nichts zu sehen. Aber der Weg nach unten in den Krater war von Warnschildern gesäumt, die Touristen den Abstieg verbaten. Nur bis wohin genau wie gehen durften, war nicht so ganz klar ersichtlich.
Glücklicherweise kam alsbald eine erste Vierergruppe mit einheimischem Führer, der seine Schäfchen ohne zu Zögern ins Kraterinnere leitete. Da schlossen wir uns einfach an.
War der Aufstieg bis hierhin zwar anstrengend, aber durchaus gut zu laufen gewesen, erwies sich er Abstieg in das Innere des Vulkans nun als das genaue Gegenteil. Der Weg, der auch von den Minenarbeitern genutzt wird, war steil, geröllig und im Finstern an vielen Stellen kaum als Weg zu erkennen. Wie sich hier ein Mensch mit bis zu 90 Kilogramm Schwefel auf den Schultern heraufquälen kann – ich weiß es nicht.
Der Schwefelgeruch, der am Kraterrand kaum wahrnehmbar gewesen war, wurde stärker, während wir uns langsam nach unten arbeiteten. Wenige Minuten später trieb der Wind dann auch die erste dichte Schwefelwolke zu uns hin. Die ohnehin schon stark eingeschränkte Sicht verringerte sich auf wenige Zentimeter. Unsere Taschenlampen tanzten ziellos durch den undurchdringlichen Nebel.
Schlimmer noch: Der beißende Schwefel brannte uns sofort in Augen und Nase. Wir warteten gar nicht erst auf den ersten Hustenanfall, sondern setzten lieber gleich unsere Gasmasken auf. Gleichzeitig wussten wir, dass diese Wolke eigentlich ein Witz war. Vergleichen mit dem, was der Ijen ausspucken kann und den Konditionen, in denen die Minenarbeiter stundenlang arbeiten müssen, war das hier wahrscheinlich nur ein, entschuldigt die Wortwahl, lauer Furz.
Blaues Feuer
So schnell wie sie gekommen war, verschwand die Schwefelwolke auch wieder. Die Gasmasken ließen wir aber lieber auf. Die Winde und Schwefelgase im Krater sind unberechenbar und auch uns umwaberten immer wieder die toxischen Dämpfe. Und wirklich – je näher wir dem Ende des Abstiegs kamen, desto dichter wurde der brennende Nebel wieder.
Kaum waren wir am Kratergrund angekommen, sahen wir sie dann endlich: Die blaue Flamme. Weiter weg als wie erwartet hatten und dadurch kleiner wirkend als gedacht, aber unverkennbar blaues Feuer. Ein faszinierender Anblick.
Davor qualmte und dampfte der Vulkan. Von einer Spezialfirma verlegte Metallrohre leiten einen Teil des Dampfes um. In den Rohren kondensiert der Schwefel. Wenn der flüssige Schwefel aus den Rohren fließt, ist er immer noch bis über 200 °C heiß. Ab 115 °C wird er fest und kann von den Minenarbeitern mit Äxten und Stangen in Stücke geschlagen werden.Von den Schwefelstechern sahen wir allerdings nach wie vor nichts. In der Ferne hörten wir Rufe, das mussten wohl ein paar Arbeiter sein, die jetzt schon hier unten schufteten. Aber ansonsten gab es um uns herum nur zunehmend mehr Touristen, die das blaue Feuer ebenfalls bestaunten, und einige Männer, die versuchten, Schwefelfiguren zu verkaufen.
Touristenschlangen
Wir wissen bis heute nicht, warum wir in dieser Nacht und an diesem Morgen keine Minenarbeiter sahen. Vielleicht lag es daran, dass gerade der Ramadan vorbei war und nahezu alle Indonesier für Idul Fitri, dem Fest des Fastenbrechens (und hierzulande auch der Vergebung), nach Hause zu ihren Familien gereist waren. Vielleicht haben sich die Schwefelstecher aber auch auf die steigenden Horden von Touristen eingestellt und verkaufen um diese nächtliche Uhrzeit eben Souvenirs oder bleiben dem Krater gleich ganz fern.
Verdenken könnte man es ihnen nicht. Denn als wir uns gegen vier Uhr wieder an den Aufstieg aus dem Kawah Ijen machten, kamen uns immer noch Touristen entgegen. Einer nach dem anderen in einer nicht enden wollenden Schlange. Wir hatten schon große Probleme, uns ohne Absturz daran vorbei zu quetschen. Mit zwei voll beladenen Körben auf den Schultern ein Ding der Unmöglichkeit.
Zweimal sollen die Arbeiter den Weg vom Fuß des Vulkans bis in den Krater und dann, schwer an ihrer Last tragend, zurück machen. Zweimal acht Kilometer, die Hälfte davon mit bis zu 90 Kilogramm auf den Schultern – je nachdem, wie viel sie tragen können. Das schwerste Stück im Krater, inmitten der giftigen Dämpfe, ist auch das gefährlichste. Ein falscher Tritt und es drohen Stürze und Verletzungen. Der Lohn für die Mühe? Weniger als zehn Euro pro Tag. Und trotzdem genug, um sie hoffen zu lassen, ihren Kindern eine bessere Ausbildung zu ermöglichen, damit diese später nicht auch in den Vulkan müssen.
Sonnenaufgang am Krater
Zurück auf dem Kraterrand, galt es nun, einen schönen Platz für den Sonnenaufgang zu finden. Wir kämpften uns weiter durch Gruppen von Menschen, die immer größer wurden, bis sich die Mengen schließlich ausdünnten. Das Gute an so einem Vulkan ist ja, dass hier theoretisch genug Platz für alle ist.
Auf dem Rand des Ijen wächst erstaunlich viel. Das sahen wir erst jetzt. Knorrige Bäume und kleine, zähe Sträucher säumten den Weg. Ich freute mich schon darauf, diese Vegetation bei Tageslicht zu sehen. Im Schein der Taschenlampen sah das jedenfalls alles sehr spannend aus.
Wir suchten uns ein Plätzchen zwischen diesen Sträuchern und schauten nach Osten. Im Tal leuchteten die Lichter von Banyuwangi, wo wir vor einigen Stunden losgefahren waren und am Horizont zeigten sich die ersten Farben. So lange konnte es ja jetzt eigentlich nicht mehr dauern, bis die Sonne hier war und hoffentlich etwas Wärme mit sich brachte.
Die Regenbogenfarben, in denen der Himmel langsam aufleuchtete, waren sehr schön anzusehen. Viel aufregender war jedoch, was sich hinter unseren Rücken abspielte. Da tauchte nämlich nach und nach der Kawah Ijen aus dem Dunkel auf. Als ich mich das erste Mal umdrehte, fiel ich fast hintenüber. Was für ein Anblick! Die Bäume, bei denen wir standen, klammerten sich gerade so am Kraterrand fest. Dahinter ging es schon steil hinunter, bis hinab zum Kratersee, von dem wir bis jetzt praktisch nichts gesehen hatten.
Dieser türkisblaue See ist bis zu 180 Meter tief und wird gerne als das größte Säurefass der Welt bezeichnet. Das Wasser hat einen pH-Wert nahe Null. (Zum Vergleich: Ein pH-Wert von 7 gilt als neutral.) So erfrischend dieser See aussieht, dort sollte man besser nicht hineinspringen.An einer Seite des Sees sahen wir nun auch besser das gelbe, schwefelhaltige Gestein und die dicken, toxischen Wolken, die dort dem Gestein entströmten. Ich glaube, mehr noch als die blauen Flammen war es dieser Anblick, der bei mir den stärksten Eindruck hinterlassen hat.
Rückzug
Zurück ging es den gleichen Weg wie hinauf, nur dass wir jetzt endlich auch unsere Umgebung ausmachen konnten. Sieben Stunden zuvor hatten wir nicht einmal erahnen können, welch phantastische Landschaften sich nach allen Seiten erstreckten. Grüne Felder, Berge und dazwischen Wolken, die noch in den Tälern hingen.
Wir sahen aber auch die unzähligen „Taxis“, die hier oben auf Kundschaft warteten und wahrscheinlich ein jedes mindestens eine Person nach oben befördert hatte. Uns war nachts gar nicht aufgefallen, wie viele es davon gab. Eine ganze Flotte fahrbarer Sänften in mehr oder weniger vertrauenserweckendem Zustand. Beim Abstieg erhielten wir dann auch Gelegenheit, viele „Taxis“ in Aktion zu erleben. Wir waren froh, genug Ausdauer zu haben, um selbst laufen zu können. Der Gunung Ijen wird uns als eins der eindrücklichsten Erlebnisse unserer Reise im Gedächtnis bleiben. Weder Jan noch ich waren jemals zuvor in einer so lebensfeindlichen Umgebung. Doch auch dieser Ort hat trotz aller mit ihm verbundenen Tragik eine eigene, gespenstische Schönheit. Wir sind froh, dass wir diese sehen konnten. Wir sind aber auch froh, dass wir die Möglichkeit haben, weiter zu reisen und nicht hier bleiben, leben und arbeiten zu müssen.
Wer mehr über die Schwefelstecher am Gunung Ijen erfahren möchte, der findet hier, hier und hier Informationen und weitaus bessere Bilder, als wir sie gemacht haben.
Toller Bericht! Und ja, schön und tragisch zugleich. Welch eine Naturerscheinung, welch ein Glück für euch dies sehen zu können. Aber dann das Leiden der dort Arbeitenden zu erleben…
Das hast du sehr schön zusammengefasst. Die Eindrücke, die man auf so einer Reise sammelt, sind gleichzeitig wundervoll und sehr bedrückend. Ich muss sagen, dass wir ganz viel Dankbarkeit hieraus mitgenommen haben, dass wir so leben können, wie wir das tun.
Diese Bilder gefallen mir auch sehr gut und sicher war es ein spannendes Erlebnis. An solchen Orten bekommt man immerwieder auch das Gefühl, wie klein wir eigentlich sind und, im Bezug auf die Menschen dort, wie privilegiert wir aufgewachsen sind.