Als wir vor fast anderthalb Jahren unsere Route geplant hatten, gingen wir ziemlich blauäugig und uninformiert ans Werk. Unsere einzigen Ratgeber waren damals eine Weltkarte und eine grobe Vorstellung von den Ländern, die wir gerne sehen wollten. Eine sehr grobe Vorstellung.
Bisher waren wir damit erstaunlich gut gefahren. Aber schon seit einigen Wochen schwante uns, dass dieses Vorgehen nun das erste Mal an seine Grenzen stoßen würde. Für Australien nämlich hatten wir diesen ganz einfachen Plan: Nach Melbourne fliegen und innerhalb von zwei Wochen ganz langsam nach Perth fahren.
Das sieht auf der großen Weltkarte ganz wunderbar aus. In Wirklichkeit funktioniert das so ungefähr bis Adelaide. Danach nämlich beginnt die große Leere. 2.680 Kilometer Leere, um genau zu sein. Erst kurz vor Perth sollte das Land dann wieder ein bisschen Abwechslung (und Zivilisation!) bereithalten. Dazwischen: ebene, mehr oder weniger baumlose Landschaften, Kängurus (angeblich), eine Grenzüberquerung, massenhaft Fliegen (nachweislich) und ab und zu einmal eine Ansammlung von ein paar wenigen Häusern, die hier der Einsamkeit trotzen.
Man hatte uns dazu geraten, diese Gegend einfach mit dem Flieger zu überspringen. Es gibt zwar ein paar wenige Bus- und sogar Zugverbindungen pro Woche, aber angesichts der horrenden Preise wäre Fliegen in diesem Fall tatsächlich günstiger.
Relocation, was ist denn das?
Oder man fährt halt selbst. So wie wir. Denn unser neuer, nun mit ein bisschen mehr Halbwissen unterfütterter Plan sah vor, eine sogenannte Campervan Relocation zu ergattern. Relocations, das sind die Supersonderangebote, die die Vermietfirmen anbieten, wenn sie ein Fahrzeug von A nach B umsetzen müssen. Das passiert vor allem dann, wenn A nach B eine sehr unpopuläre Route ist und die Leute lieber von B nach A fahren oder von B nach C und D, auf keinen Fall aber von A nach B.
In unserem Fall war A also Adelaide und B war Perth. Diese Strecke will eigentlich niemand in irgendeine Richtung gerne fahren und dafür auch noch viel Geld zahlen. So hatten wir tatsächlich Glück und fanden nach viel Hin und Her und „Wie wäre es, wenn wir ganz woanders hin fahren würden?“ von meiner Seite ein gutes Angebot. In fünfeinhalb Tagen mit genau so einem Modell, wie wir es in Melbourne gemietet hatten, sollten wir nach Perth fahren. Sogar einen Teil der Spritkosten sollten wir wiederbekommen.
Auf geht’s!
Wir stockten also unsere Vorräte auf und los ging die Fahrt. Anfangs noch durch dichtesten Stadtverkehr, der sich aber nach und nach lichtete. Nach Westen wollte außer uns offenbar tatsächlich niemand. Am Bumbunga Lake waren wir schon fast unter uns – wenn man von zwei Millionen Fliegen einmal absieht. Eine gute Einstimmung auf das, was uns die kommenden Tage erwarten sollte. Abgesehen davon gab es hier vor allem einen trockenen See zu bestaunen. Wenigstens hatten wir so Gelegenheit, uns einmal die Beine zu vertreten.
Ab jetzt hieß es nämlich: mindestens 500 Kilometer täglich, plus Umwege. Und das bei maximal 90 km/h, die wir unserem Campervan zumuten wollten. Wir wechselten uns am Steuer spätestens alle zwei Stunden ab und nutzten alle interessanten kleinen Zwischenstopps, um wenigstens für ein paar Minuten etwas anderes zu sehen und uns etwas bewegen zu können.
Anfangs sahen wir lange Zeit noch Zäune zur Rechten und zur Linken. Ganz offenbar diente dieses Land der Schafzucht und anderer Landwirtschaft. Wir sahen Getreidefelder und mit zunehmender Entfernung von Adelaide immer mehr Känguru-Roadkills zu. Hinter diesen Tierkadavern, die Opfer der Straße geworden waren, erstreckte sich Steppe mit nur wenigen Bäumen. Berge gab es nur im Hintergrund. Zwischen ihnen und uns lag kilometerweise gelbe und rote Erde mit viel struppigen Büschen und Gräsern.
Wir staunten auch nicht schlecht, als unser Navi, kaum hatten wir auch die letzten Vororte von Adelaide verlassen, folgendes anzeigte: 1.200 Kilometer geradeaus. Drei Tage lang fuhren wir also auf dieser Straße. Drei Tage, an denen wir nicht einmal abbiegen musste.
Kimba: Auf halber Strecke, nur nicht für uns
Da kam uns Kimba gerade recht. Dieser kleine Ort hat sich viel Mühe gegeben, um Durchreisenden etwas zu gucken zu bieten und wirbt gleich mit drei kostenfreien Stellplätzen für sich. Wir wollten heute aber noch Kilometer schaffen und hielten daher nur zum Sightseeing. Kimba rühmt sich nämlich, dass es der Ort sei, an dem man 50% der Strecke zwischen Ost- und Westküste Australiens geschafft hat. Wem das noch nicht als Grund für einen Halt reicht, der kann sich ein großes Gemälde (in einer richtigen Stadt hätten wir wohl von Streetart gesprochen) auf einem Getreidesilo anschauen. Ja, diese Stadt lebt ganz offensichtlich von der Landwirtschaft. Die Felder, an denen wir gerade vorbeigefahren waren, bezeugten das.
Am White Knob Lookout ganz in der Nähe konnten wir uns davon noch einmal überzeugen. Außerdem gab es hier eine Statue zu Ehren des Mannes, der als erster die Peninsula direkt im Westen Adelaides für die Europäer erkundete. Edward John Eyre erkundete 1839 bis 1841alle drei Seiten dieser Halbinsel, nur unterstützt von Aborigines, die ihm den Weg wiesen. Einer von ihnen wird ebenfalls durch die Statue „geehrt“. Wir fanden jedoch, dass die Qualität der Darstellung von ihm und Eyre große Unterschiede aufwies.
Die erste Übernachtung im Nirgendwo
Wir hatten vor, auf dieser Campervan-Überführung möglichst wenig Geld für Unterkünfte auszugeben. Obwohl es von freien Plätzen wimmelt (im Grunde kann man auf jedem Halte- bzw. Parkplatz die Nacht verbringen), sind Toiletten eher Mangelware. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass jede Reinigung und Wartung eine ein- bis zweitägige Anfahrt erfordert. Wir waren daher enorm dankbar, dass man sich auch auf einem privaten Farmgelände hinstellen durfte. Das angrenzende Haus war unbewohnt, aber noch so eingerichtet wie vor mindestens zwanzig Jahren und für Besichtigungen freigegeben. Ein wenig gruselig, aber irgendwie auch tröstlich. Mich erinnerte es beispielsweise sehr an die Wohnung meiner Großeltern väterlicherseits.
Ein schneller Sonnenuntergang, ein kurzer Blick auf den wieder einmal überwältigenden Sternenhimmel Australiens und ab ins Bett. Das Navi zeigte immerhin noch 2.157 Kilometer bis Perth.
Das letzten bisschen Zivilisation
Dass wir uns noch nicht im tiefsten Hinterland befanden sahen wir nicht nur daran, dass hier ganz offenbar immer noch Landwirtschaft betrieben wurde. Wir fuhren auch noch am zweiten Tag gelegentlich durch Orte, die sich allesamt entlang der einzigen Verbindungsstraße angesiedelt hatten.
In Wudinna versucht man (erfolgreich), Reisende mit dem Anblick einer riesigen Statue, die den australischen Farmern gewidmet ist, zum Anhalten zu bewegen.
Ein paar Stunden später lockten Murphy’s Haystacks, also „Murphys Heuballen“. Das sind nicht etwa gigantische Heuhaufen, die wären hier wohl kaum bemerkenswert. Es handelt sich vielmehr um seltsam geformte Felsen, die mitten im Feld eines gewissen Farmers Murphy stehen. Geologisch gesehen sind es „Inselberge“, die wie Inseln im Meer, nur eben auf dem Land aussehen. Diese speziellen Inselberge formten sich vor etwa 100.000 Jahren.
Ihren irreführenden Namen erhielten die Haystacks von einem schottischen Landwirtschaftsexperten. Dieser warb für den Gebrauch der Egge und erklärte, dass das Land dadurch viel fruchtbarer würde. Als er mit der Kutsche durch das Land reiste, sah er in der Ferne diese Felsformationen und verwechselte sie mit Heuhaufen. Prompt informierte er die anderen Passagiere und den Kutschfahrer darüber, dass dieser Farmer ganz offenbar sein Land eggen würde. Darum habe er auch einen so großen Ertrag, dass man die Heuhaufen bis hierhin sehen könne.
Ob er beim Bekanntwerden seines Fehlers Humor bewies, ist nicht überliefert. Die Kutschfahrer jedoch bezeichneten die Felsen fortan konsequent als Murphy’s Haystacks.
Der Nullarbor
Erst am Nachmittag unseres zweiten Tages sollten wir den eigentlichen Nullarbor erreichen. Nullarbor entlehnt sich aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „keine Bäume“. Eine treffende Bezeichnung dieser riesigen, gelberdigen Ebene, auf der nun nur noch karges Gestrüpp wuchs. Die paar einsamen, verkrüppelten Bäume fallen unter Rundungsfehler.
Anfangs lief vor uns noch ein einsamer Emu über die Straße, danach mussten wir lediglich zwei ebenso einsamen Skinks ausweichen. Abgesehen von den omnipräsenten Vögeln, Fliegen und Ameisen ließen sich keine weiteren Wildtiere blicken. Trotz der ebenfalls immer wieder auftauchenden Warnschilder sahen wir bis Perth keine Kängurus (abgesehen von den toten am Straßenrand), Dromedare oder Wombats. Sehr enttäuschend. Nur ein paar vermutlich wilde Pferde sahen wir zwischendurch mal in der Ferne, aber vor denen hatte kein Schild gewarnt.
Dafür brausten zunehmend Roadtrains an uns vorbei. Diese LKWs mit bis zu vier Anhängern sind anfangs wirklich einschüchternde Erscheinungen, zumal sie allesamt schneller waren als wir und uns auf den langen, geraden Strecken mühelos überholten. Irgendwann aber gewöhnten wir uns daran und nahmen sie nur noch zur Kenntnis, um den typischen Outback-Gruß auszutauschen: Ein Finger, selten auch einmal die ganze Hand, wird betont lässig vom Lenkrad in die Höhe gehalten. Das war es. Es reicht aber, um einander als zumindest temporäre Mitglieder dieser einsamen Reisegesellschaft zu erkennen.
Die Temperatur kletterte auf 34°C und wir fuhren. Noch 1.584 Kilometer, als wir das erste Mal auf einem Rastplatz nur mit Buschtoilette die Nacht verbrachten. Außer uns war dort keine Seele. Wir fühlten uns wie die einzigen Menschen auf der Welt.
Grenzquerung mit Hindernis
Unser dritter Tag dieses längsten Ritts unseres Lebens überraschte uns mit immerhin drei Aussichtspunkten. Klar, der Nullarbor ist ja auch Nationalpark, da muss so etwas schon sein. Es war schön, zwischendurch einmal ein wenig Küste und Meer zu sehen, auch wenn es hier genauso baumlos war wie im Rest des Nullarbor.
Erst an der Grenze zwischen Süd- und Westaustralien hörte der Nationalpark auf. Hier fanden sich nun auch wieder ein paar kleine Häuser, die als Unterkunft für Reisende und LKW-Fahrer, für die Betreiber des winzigen Lädchens, der von Benzin bis Müsliriegel und Shampoo das Notwendigste im teuren Angebot hatte, und für die Grenzbeamten.
Waren wir noch völlig ohne Kontrolle nach Südaustralien gekommen, wollte Westaustralien ganz genau wissen, was wir so mit uns führen. Flugs war unser frisches Gemüse konfisziert. Man hat Angst, dass Schädlinge und Krankheiten, die den einheimischen wie den Nutzpflanzen zusetzen können, mitgeschleppt werden. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Wie gut, dass wir auch ausreichend Konserven und ähnliches dabei hatten. Verhungern würden wir nicht.
Kann mal jemand das Lenkrad festbinden?
In Westaustralien änderte sich die Landschaft nun zusehends schneller: Wir kamen in den größten zusammenhängenden, mediterranen Wald der Welt. Die Great Western Woodlands erstreckten sich, wie zuvor die Steppe Südaustraliens, zu beiden Seiten der Straße bis zum Horizont. Immerhin sorgten ein paar Hügel für mehr Dynamik in der Landschaft. Die war auch bitter nötig.
Denn hier befindet sich auch die längste, gerade Straße Australiens. Mussten wir zuvor zumindest die eine oder andere Kurve durchfahren, ging es nun für 90 Meilen oder 146,6 Kilometer einfach nur geradeaus. Für uns also gut anderthalb Stunden, ohne das Lenkrad nennenswert zu bewegen. Jan wollte es sich nicht nehmen lassen, diesen Teil der Reise in einem durch zu fahren. Als wir irgendwann die erste Kurve vor uns sahen, waren wir beinahe aufgeregt und auch ein wenig erleichtert, dass sich das Lenkrad noch nicht festgefressen hatte.
Trockenes Land
Wir campten direkt neben einem großen, ausgetrockneten See, in dem Spuren noch von gelegentlicher Emu-Aktivität zeugten. Uns zeigten sich diese großen Vögel nicht, dafür abermals tausende Fliegen. Kann die mal irgendjemand abstellen, bitte?
Weitere ausgetrocknete Seen folgten prompt. Es soll hier ja auch Monate geben, in denen es richtig stark regnet. Das konnten wir uns angesichts dieser großen, weißen Flächen voller Salz aber kaum vorstellen. Das gesamte Land war knochentrocken. Dass sich dieser dichte Wald hier halten kann, grenzte für uns schon fast an ein Wunder.
Esperance
Weil wir die ersten drei Tage so gut vorangekommen waren, gönnten wir uns einen weiteren Umweg, als wir die ersten Anzeichen für Zivilisation entdeckten. Im kleinen Örtchen Esperance schmissen wir uns zunächst in die Wellen und freuten uns riesig darüber, dass das Wasser hier schon beinahe angenehm warm war. Frisch geduscht wanderten wir dann ein Stück des Kepwari Wetland Trails, der uns an allerhand interessanter Wildblumen vorbeiführte. Für die angepriesene Entenbeobachtung fehlte uns heute ein wenig Geduld, aber auch so war es schön, wieder richtig die Beine zu strecken.
Bei Esperance gibt es außerdem den Great Ocean Drive, nicht zu verwechseln mit der Great Ocean Road! Was zunächst sehr anmaßend klingt, ist tatsächlich eine wunderbare Straße, die entlang des sehr schönen Küstenabschnitts bei Esperance führt und deutlich überschaubarer als ihre große Cousine, die Great Ocean Road, ist.
Mit Perth so dicht vor der Nase (nur noch etwa 800 Kilometer trennten uns vom Ziel unserer Campervan-Relocation) und anderthalb Tagen Zeit fuhren wir stilgemäß direkt in den Sonnenuntergang. (Was Jan Schweißperlen auf die Stirn trieb, denn er erwartete hinter jedem Busch ein suizidgefährdetes Känguru. Unnötig zu erwähnen, dass wir weiterhin keine hüpfende Riesenratte zu Gesicht bekamen.)
Ab morgen wollten wir dann wieder Stadtluft schnuppern!
Ein Abenteuer im richtigen Outback! Das klingt auf eine Art spannend und andererseits sieht man halt auch mal einen Tag nur das Gleiche. Aber ich denke, damit habt ihr ein sehr einprägendes Erlebnis gehabt und nach den Fotos zu schließen, gibt es auch in dieser ewigen Pampa viel Schönheit zu entdecken. 🙂
Du hast es ganz gut beschrieben, auch wenn ich glaube, dass das richtige “Outback” sich noch mehr im Landesinneren versteckt. Vielleicht ist das aber nur meine romantisierte Vorstellung.
Wir sind in jedem Fall froh um diese Erfahrung, die uns so richtig entschleunigt hat und die viel kurzweiliger war, als wir befürchtet hatten. Wahrscheinlich lag das ab der guten Gesellschaft. ?
Ich habe mal geschaut – der direkte Weg Adelaide-Perth sind knapp 2.700 Kilometer. Das ist schon eine Leistung, das durch quasi menschenleeres Land zu fahren. Aber auch so was ist interessant und die Landschaft hat etwas, das sieht man an euren Bildern. LG
Es ist eine verdammt lange Strecke und eine tolle Erfahrung. Wir sind allerdings ganz froh, dass wir durch die Relocation relativ wenig dafür gezahlt haben.
Meine Güte, da habt ihr ja eine Wahnsinnstour gehabt. Und trotz der Eintönigkeit – die ja dann gar nicht so extrem war, wie es aussieht – habt ihr so tolle Bilder gemacht. Schönheit findet man gerade da, wo man es am wenigsten erwartet.
Und natürlich haben wir hier (und werden noch, sprich Oma wird noch) für Jans tolles Foto voten!
Schön ist diese Landschaft definitiv, aber ohne die entsprechende Vorbereitung kann diese Schönheit auch schnell gefährlich werden. Es war eine tolle Fahrt.
Danke für eure Stimmen.