Yogyakarta: viel Trubel auf Java

Yogyakarta: viel Trubel auf Java

Vom geordneten, sauberen, bekannten Singapur hinein ins trubelige, verwirrende, unübersichtliche Indonesien. Wie hatte ich mich auf dieses Land gefreut! Von Indonesien kannten wir bisher nur einen kleinen Zipfel von Bali. Angesichts über 17.000 Inseln, aus denen sich dieses südostasiatische Land zusammensetzt, ist das beinahe sträflich wenig.

Um einmal wieder ein paar Superlative in den Raum zu werfen: All diese Inseln machen Indonesien zum größten Inselstaat der Welt. Außerdem steht Indonesien auf Platz vier der bevölkerungsreichsten Länder der Welt und hat die allermeisten muslimischen Einwohner. Bali stellt da eine kleine Ausnahme dar, weil diese Insel zu über 90% hinduistisch ist. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass wir das „echte“ Indonesien noch gar nicht kannten.

Weil angesichts der Vielfalt und Größe Indonesiens selbst ein Monat zu wenig ist, um „alles“ zu sehen (unser altbekanntes Problem), legten wir eine grobe Reiseroute über die Hauptinseln des Landes fest. Beginnen wollten wir auf Java, der zweitgrößten Sundainsel. Java ist außerdem Heimat der Hälfte aller Indonesier, also etwa 130 Millionen Menschen. Bei weniger als 130.000 km² ergibt das eine ziemlich dicht besiedelte Insel.

Um die in den vergangenen Monaten von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und fatalen Flutwellen betroffenen Gebiete zu umgehen, flogen wir direkt nach Yogyakarta, liebevoll auch Yogya oder Jogja genannt. So vermieden wir außerdem ganz geschickt die Hauptstadt des Landes, Jakarta, von der uns einige Reisende abgeraten hatten.

Dagegen ist Yogyakarta die inoffizielle Kulturhauptstadt (zumindest) Javas, wenn nicht von ganz Indonesien. Die Stadt ist berühmt für ihre Batikkünstler und Marionettenspiele. Außerdem befinden sich gleich zwei von der UNESCO geschützte Tempelanlagen in unmittelbarer Umgebung der Stadt.

Hallo Urlaub!

Am Flughafen empfing uns Yogya erwartungsgemäß mit großem Gewusel und vielen freundlichen Angeboten, hier „ganz, ganz günstig“ ein Taxi in die Innenstadt zu nehmen. Wohl dem Reisenden, der schon einmal in Südostasien war oder der sich von so etwas nicht aus der Ruhe bringen lässt. Für uns war es ganz im Gegenteil schon beinahe beruhigend, dass sich manche Dinge so schnell dann doch nicht ändern.

Wir entschieden uns natürlich und trotzdem für das Abenteuer Busfahrt. Gar nicht so einfach, wenn man plötzlich wieder in einem Land ist, in dem Englisch nicht Landessprache ist. Mit viel Humor, Händen, Füßen, Lachen und Geduld überstanden wir ungeplantes Umsteigen, falsches Hinausgehen aus dem Bus„terminal“, den ersten Monsun-Regenschauer und einen längeren Fußmarsch als gedacht.

Wem das nach einem echten Horrorszenario klingt, dem kann ich nur sagen: Ich habe mich seit Beginn unserer Reise noch nirgends so „im Urlaub“ gefühlt wie gerade hier. Indonesien, das habe ich nun begriffen, gehört einfach zu meinen happy places. Und zwar mit all seinen Schwierigkeiten, Moped-Fahrern, Verwirrungen und widersprüchlichen Informationen. Bisher habe ich noch nichts gefunden, was mir in diesem Land die Laune verderben kann.

Im Himmel gibt es Indonesisch zu essen

Nicht ganz unbeteiligt an diesem Glücksgefühl ist das Essen in Indonesien. Genau wie im Rest Südostasiens gibt es hier so unglaublich leckeres (und nicht unbedingt ungesundes) Streetfood, dass man aus dem Schlemmen eigentlich nie herauskommen möchte. Die frischen Fruchtsäfte sind ohnehin jede Sünde wert und wer dann noch nicht genug hat, der kann sich auf den zahlreichen Märkten mit jeder Menge bekannter und unbekannter Obst- und Gemüsesorten eindecken.

Nachdem wir unser unfassbar schönes Hostelzimmer bezogen hatten, machten wir uns daher auch gleich auf die Suche nach etwas Essbarem. Ein Gado-Gado (inseltypischer Salat aus Gemüse, Ei, Kartoffel, Tofu, ertränkt in Erdnusssauce), ein Kari Ayam (Hühnchencurry) und ein bisschen Mangosaft später schlenderten wir trunken vor Essensglück durch den zweiten Monsunregen des Tages heim.

Kleine indonesische Verkehrskunde

Das Transportmittel schlechthin ist in Indonesien das Moped. Darin nimmt sich das Land nichts mit anderen asiatischen Staaten wie Thailand, Vietnam oder Kambodscha. Auf Mopeds ist man deutlich schneller als in Autos oder Bussen. Letztere haben schlicht keine Chance, sich an anderen Fahrzeugen vorbeizudrängeln und müssen an jeder Kreuzung brav Schlange stehen.

Da so ein Moped außerdem deutlich günstiger ist als jedes Auto, zur Not auch im Wohnzimmer geparkt und an jeder Straßenkreuzung aus abgefüllten Literflaschen aufgetankt werden kann, verwundert es nicht, dass gefühlt jeder Indonesier mindestens ein motorisiertes Zweirad besitzt. Es kommt nicht von ungefähr, dass es hier quasi keine Fußwege gibt. (Und die, die es gibt, werden mehr als Überholspur für – genau – Mopeds genutzt.)

Dass auf so einem Gefährt bequem vierköpfige Familien Platz finden, zusammen mit dem Wocheneinkauf und diversen anderen Gegenständen des täglichen Lebens, glauben nur wir Europäer nicht.

Will man Indonesien also wirklich erleben und vor allem mehr sehen, als Bustouren anbieten oder sich erlaufen lässt, kommt auch der budgetbewusste Backpacker nicht um ein Moped herum. Zum Glück! Denn welch ein Spaß wäre uns sonst entgangen.

Schon auf Bali hatten wir unsere Zweiradfahrkünste erprobt und festgestellt, dass es sich auch zu zweit ganz hervorragend darauf balancieren lässt. Während der Fahrer also fleißig hupt, um die umgebenden Verkehrsteilnehmer freundlich (keine Ironie!) darauf hinzuweisen, dass man abbiegen/überholen/nicht zerquetscht werden will, widmet sich der Beifahrer dahinter ganz der Navigation und dem ebenso fleißigen Händewedeln, um die Abbiege-Wünsche noch deutlicher zu machen. Ja, hinter all diesem scheinbaren Chaos steckt System. Wer dieses durchschaut, der kommt eigentlich ganz gut klar im südostasiatischen Straßenverkehr.

Vom Sultan

Für gut drei Euro am Tag waren wir bald mit unserem eigenen Roller ausgestattet. Schließlich wollten wir in Yogyakarta mehr sehen als nur die Warungs, also die Garküchen der näheren Umgebung.

Seit über 250 Jahren wird die Stadt von Sultanen regiert. Bis 1950 war die Provinz Yogyakarta noch selbstständig, schloss sich dann aber während der Unabhängigkeitsbemühungen Indonesiens diesem an. Zum Dank wurde Yogyakarta zur Sonderzone erklärt, in der dem Sultan automatisch die Funktion des Gouverneurs der Provinz zufällt. Das war damals sicher kein schlechter Schachzug. Immerhin bewahrte sich der Sultan so ein gewisses Maß an Autonomie.

Mitten in Yogyakarta befindet sich der Sultanspalast, der Kraton. Wobei „Palast“ ein wenig irreführend ist. Vielmehr handelt es sich um eine verwirrende Ansammlung von kleinen Gebäuden, überdachten Podesten und Plätzen. All diesen kamen in früheren Zeiten – und manchen auch heute noch – spezielle zeremonielle Funktionen zu. Unter einem Dach warteten die Minister auf Audienzen, unter einem anderen wurden Militärparaden abgenommen. In zwei kleinen Verschlägen am Eingang zu einem Versammlungshaus wurden eintretende Gäste von den Scharfrichtern des Sultans begrüßt. Nicht jedes Regierungshaupt war für seine Milde bekannt…

Genau genommen ist der Kraton noch um einiges größer als die Unterkünfte, Zeremonialbereiche und Bürogebäude des Sultans. Ein ganzer Stadtteil, in dem vornehmlich die Angestellten des Sultans mit ihren Familien wohnen, gehört ebenfalls dazu. Hier befinden sich auch die Werkstätten der Batikkünstler und Schattenpuppenmacher, für die Yogyakarta so berühmt ist.

Bunte Bilder

Gut gelaunt ließen wir uns von eifrigen „Schleppern“ zu beidem bringen. Ein Blick kostet schließlich nichts und ganz nebenbei erlaufen wir uns so noch ein Stück Kraton „hinter den Kulissen“.

Unter dem Begriff „Batik“ können sich die meisten Europäer zwar etwas vorstellen, aber meist spielen dabei kunterbunte Hippie-T-Shirts eine Rolle. Dass Batik auch richtig kunst- und geschmackvoll sein kann, wurde uns in einer Batikschule gezeigt. Mit dünnen Nadeln, Stempeln und Pinseln wird flüssiges Wachs auf Tücher aufgebracht, so dass das Textil an diesen Stellen vor der Farbe geschützt ist. Alle Stellen, die im nächsten Färbezyklus nicht mitgefärbt werden sollen, müssen versiegelt werden. Je mehr Farben im Bild vorkommen, desto aufwändiger ist natürlich der Prozess und desto genauer muss die Reihenfolge geplant werden, in der das Tuch mit den einzelnen Farben gefärbt wird.

Der Form-, Farb- und Stilvielfalt scheint dabei kaum eine Grenze gesetzt zu sein. Von klassischen und auch religiösen Motiven reicht das Spektrum bis zu ganz modernen Kompositionen. Klar, dass da auch etwas für unseren Geschmack dabei war.

Eigentlich wollen wir an solchen Touristenorten ja eher nichts kaufen. Dass wir am Ende doch zwei Batik-Bilder mitnahmen, sei einfach mal mit unserem herausragenden Kunstverstand begründet. Wir hatten schon in Australien bereut, an einem Kunstwerk vorbeigelaufen zu sein, von dem wir noch heute schwärmen. Das sollte uns in Indonesien nicht noch einmal passieren.

Immerhin handelten wir wie die Weltmeister und bekamen die Bilder für weniger als 60% des Originalpreises und zwei Schachteln Zigaretten…

Bunte Puppen

Standhaft hingegen blieben wir bei den Stabpuppen. Trotzdem durften wir einmal schauen, wie diese hergestellt werden. Im Vergleich zu den Batik-Bildern, die über mehrere Monate hinweg entstehen, geht das mit etwa einer Woche vergleichsweise schnell. Aus Wasserbüffelleder werden zunächst die traditionellen Formen herausgeschnitten und -gestanzt. Kuhleder, so erklärte man uns, sei dafür nicht geeignet. Die kleinen Halbkreise und Konturen in der Figur wurden früher mit Bambusröhrchen herausgeschnitten. Da diese aber schnell brechen und stumpf werden, stiegen die Künstler in neueren Zeiten auf Motorradspeichen um.

Die Bemalung erfolgt anschließend von beiden Seiten (damit die Figur auf der Bühne in beide Richtungen laufen kann). Die Puppen werden nämlich nicht nur bei Schattenspielen eingesetzt – und das vornehmlich nachts – sondern auch für Tageslichttheater. So ein bisschen wie unser Kasperletheater, nur dass die Geschichten, die hier gespielt werden, meist uralte hinduistische Mythen sind.

Drei Stäbe aus Büffelhorn werden auf die Figur geklebt, damit sie und ihre Arme bewegt werden können. Und schon ist die Puppe fertig für den großen Auftritt.

Markttreiben

Nach so viel Kultur war es Zeit für ein bisschen Marktgeschehen. Schließlich hatten wir in Ozeanien viel zu lange auf wuselige, bunte, spannende Märkte verzichten müssen. Der größte und bekannteste Markt in Yogyakarta ist der Pasar Peringharjo, der große Zentralmarkt. Dieser befindet sich leider nicht unter freiem Himmel, sondern ist auf mehreren Ebenen eines großen, hässlichen Betonklotzes untergebracht. So ähnlich kannten wir das ja auch schon aus Südamerika. Wir wussten also, dass das Äußere eines Marktes nicht unbedingt etwas aussagt über seinen Unterhaltungs- Verköstigungs- oder Fotografiefaktor.

Leider waren wir diesmal aber etwas spät dran. Viele Stände waren schon leergeräumt oder stellten nur noch die letzten unappetitlichen Fischfetzen aus. Also weder Unterhaltung, noch Verköstigung und ganz sicher kein Fotopotential.

Beinahe hätten wir schon aufgegeben, denn auch den vielgerühmten „hinteren“ Teil des Marktes mit seinen Gewürzen fanden wir nicht. Nur ein paar Bakpia Pathok (süße Teigbällchen mit Mungobohnen- und anderen Füllungen) erstanden wir – mehr um überhaupt etwas gekauft zu haben.

Immerhin schien der Mann, der uns mit den Erklärungen zu den Bällchen und dem Preis geholfen hatte, so von seinem schlechten Gewissen geplagt zu sein, dass er uns kurzerhand mit zu seinem Gewürzstand mitnahm und uns auf einen Wedang Uwuh einlud. (Für die Bakpia Pathok hatten wir nämlich doppelt so viel gezahlt wie üblich. Das erfuhren wir aber erst am nächsten Tag. So viel also zu unserem Verhandlungsgeschick…)

Wedang Uwuh ist ein süßes Aufgussgetränk aus verschiedenen Zutaten wie Zimt, Muskatnuss, Ingwer, Zucker und einigen schwer zu identifizierenden Blättern. Irgendeines dieser Blätter sorgt auch dafür, dass das fertige Getränk rot-pink wird. Während wir darauf warteten, dass unser Getränk abkühlte, erzählte uns unser neuer „Freund“, dass Wedang Uwuh ehemals den allerobersten Schichten vorbehalten war. Wie gut, dass es heute ganz demokratisch und für nur wenige Rupien allgemeinzugänglich ist. Denn geschmacklich ist das Getränk durchaus auch etwas für Europäer und erinnert mit seinem Geruch ein wenig an Weihnachten.

Die Allerersten auf dem Roller

Er gilt als der größte buddhistische Tempel der Welt und gehört zu den wichtigsten und spektakulärsten Bauten Südostasiens. Vermutlich erbaut um das Jahr 800 war Borobudur das buddhistische Zentrum Javas. Doch politische und geologische Umwälzungen ließen Borobudur schon nach anderthalb Jahrhunderten in Vergessenheit geraten. Die Tempelanlage wurde vom Dschungel überwuchert und durch Erdbeben und Vulkanausbrüche zerstört.

Bei ihrer Wiederentdeckung durch den damaligen Gouverneur Javas, Thomas Stamford Raffles, im Jahr 1814 sah Borobudur wie irgendein Hügel aus. Erst Ausgrabungen brachten dieses Wunder zurück ans Tageslicht.

Heute ist der Tempel Teil des UNESCO Weltkulturerbes und völlig verdientermaßen ein großer Touristenmagnet. (Nicht nur für ausländische Touristen. Auch für Indonesier scheint ein Besuch Borobudurs gewissermaßen Pflicht zu sein.) Teil dieses Rummels ist, Borobudur zum Sonnenaufgang zu ersteigen.

Da das nur mit teuren Spezialtickets möglich ist und die Sonnenaufgänge Javas meist hinter tiefhängenden Wolken verschwinden, waren wir skeptisch. Am Ende entschieden wir uns aber doch dafür. Zu gut klangen die Reiseberichte anderer Weltreisender. Aber wir verzichteten auf eine geführte Tour und ließen uns auf das Abenteuer „frühmorgendliches Rollerfahren raus aufs Land“ ein.

So saßen wir also um kurz nach drei Uhr morgens auf unserem Moped und stürzten uns in den dankenswerterweise recht lichten Verkehr. Von unserer Umgebung sahen wir ohnehin wenig bis gar nichts. Da war es nicht weiter schlimm, dass wir für den Hinweg auf die szenische Route verzichteten und lieber der gut beleuchteten Hauptverkehrsstraße folgten.

Magisches Borobudur

Eine knappe Stunde dauerte unsere Fahrt, dann durften wir unseren kleinen Roller zwischen all den Reisebussen und Taxis parken. Offenbar wagen so früh am Tage nicht viele die eigenmächtige Anfahrt. Wir fühlten uns gleich ein bisschen „cooler“.

Mit Taschenlampe bewaffnet erklommen wir die Stufen zum höchsten Punkt des Tempels, ohne so richtig zu sehen, was wir hier eigentlich bestiegen. Ein kurioses Gefühl, da man doch meist schon das Besichtigungsobjekt der Begierde erblickt.

Natürlich waren auch eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang die vermeintlich besten Aussichtspunkte schon lange besetzt. Wir hatten uns aber ohnehin einen guten Rat zu Herzen genommen: Bleibe nicht an einem Punkt stehen, sondern laufe umher, genieße die Atmosphäre und schau dir das Spektakel aus verschiedenen Blickwinkeln an.

Und wirklich: Der Sonnenaufgang selbst war eher langweilig. Zu viele Wolken, zu viel Nebel, um für wundervolle Rottöne am Himmel zu sorgen. Sobald die Sonne es aber über den Horizont geschafft hatte, begann ein ganz anderes Schauspiel. Langsam tauchte die Umgebung Borobudurs aus dem Nebel auf. Am Horizont zeichneten sich die ersten Berge und Vulkane ab. Palmen und Reisfelder wurden immer klarer und nach und nach auch immer grüner. In den Tälern und zwischen den Dörfern blieb die dunstige Luft hängen, bis die immer höher steigende Sonne sie endgültig vertrieb.

Ein gigantisches Mandala

Nun ließ sich auch Borobudur selbst besser erkunden. Auf einem Hügel gebaut, besteht der Tempel aus neun Terrassen, die sich auf einer Grundfläche von etwa 120 x 120 Metern erheben. Die unteren sechs sind quadratisch, die oberen drei kreisförmig. Aus der Luft betrachtet soll Borobudur wie ein riesiges Mandala aussehen, durch das man meditierend wandeln kann.

Dabei ist das Bauwerk wie eine steingewordene Karte der buddhistischen Welt aufgebaut. Im unteren Bereich zeigen die kunstvollen Reliefs das alltägliche Leben, von Gelüsten und Leidenschaften getrieben. Auf den Terrassen darüber wird in langen Sequenzen aus dem Leben Buddhas und seiner langsamen Annäherung an das Nirvana erzählt. Dieses schließlich wird von der obersten, kreisrunden Plattform symbolisiert, die als einzige frei von Reliefs ist.

Im oberen Bereich befinden sich auch zunehmend mehr Buddhastatuen. 504 sollen es insgesamt sein, von denen sich 72 in den sogenannten Stupas befinden, also den glockenförmigen Bauten.

Borobudur ist durchdrungen von Symbolik und Bedeutungen. Zu viele, zu komplexe, als dass wir alle verstehen oder nur erkennen würden. Der Wandelgang über alle neun Terrassen, den wir ja nun „falsch herum“, also vom Nirvana zurück auf die Erde, gingen, ist in seiner Gänze unglaubliche fünf Kilometer lang! Und jeder einzelne Meter wird begleitet von den kunstvollsten Steinreliefs. Borobudur mag aus der Ferne beeindruckend sein und einen wunderbaren Ausblick über das Land bieten. Aber nur in Verbindung mit dem Detailreichtum, der sich aus der Nähe offenbart, wird einem klar, warum dieser Tempel der bedeutendste buddhistische Tempel Indonesiens ist.

Starallüren

Um sechs Uhr wurden die Tore auch für diejenigen Besucher geöffnet, die ein reguläres Ticket erstanden hatten. Plötzlich fanden wir uns umzingelt von dutzenden indonesischer Jugendlichen, die unbedingt Fotos mit uns machen wollten. Offenbar sind auf Java weiße Touristen außerhalb der Städte noch nicht so häufig. Was auch immer die Gründe für unsere unvermutete Popularität waren: Gut gelaunt machten wir ein Selfie nach dem anderen. Eine richtige Fließbandproduktion war das, bis wir dann doch Reißaus nehmen mussten. Sonst hätten wir womöglich auch den ganzen restlichen Tag hier verbracht.

Das heilige Huhn

Unweit Borobudurs befindet sich noch ein religiöses Gebäude. Dieses stellt allerdings in wirklich jeder Hinsicht so etwas wie die Antithese zu Borobudur dar. Es ist weder schön, noch bedeutsam oder würdevoll. Gereja Ayam, zu Deutsch „Hühnerkirche“ oder ein wenig eingängiger auf Englisch „Chicken Church“, ist eine Gebetshalle, die allen Religionen offen steht. Erbaut wurde sie in den 1990er Jahren, inspiriert von einem Traum, den der Gründer hatte. In diesem Traum habe ihm Gott gesagt, er solle ein Gebäude in Form einer Taube errichten. Nun ja, Taube. Die Gebetshalle wird nicht umsonst „Chicken Church“ genannt.

Die Bauarbeiten sind übrigens nie ganz fertiggestellt worden. Trotzdem hat sich der Ort zu einem Geheimtipp unter Touristen gemausert. Es ist doch einfach zu absurd, um es nicht zu besuchen. Und für Leute ohne Humor bietet sich von der Krone des Tauben-Hühnchen immerhin ein schöner Blick sogar bis nach Borobudur.

In die Räder gezwungen

Jetzt waren wir schon einmal hier draußen und hatten dank unseres frühen Starts noch reichlich Tag übrig. Warum nicht das beste daraus machen, und noch zum Kalibiru Nationalpark fahren? So recht hatten wir das mit diesem Park nicht verstanden. Die Anwohner haben an strategischen Punkten Aussichtsbäume gepflanzt beziehungsweise errichtet. Um von hier Fotos zu machen (für fünf Minuten pro „Sitzung“) wird ein kleines Eintrittsgeld pro Baum verlangt. Offenbar ist das Ganze ein ziemlicher Hit auf Instagram und viele hübsche junge Mädchen in luftigen Kleidern schauen fotogen und verloren in die grüne Ferne.

Ob diese Beschreibung tatsächlich zutrifft oder es sich nur um gehässige Spekulationen handelt, vermögen wir leider nicht zu sagen. Uns waren schon steile und kurvige Zufahrtspfade durch die Berge angekündigt worden. Nach unserem morgendlichen Rollerabenteuer fühlten wir uns dem durchaus gewachsen. Nur unser Moped selbst streikte angesichts der doch sehr steilen Anstiege. Nachdem zum sechsten oder siebten Mal einer von uns absteigen musste, damit das Zweirad die Steigung überhaupt schaffte, gaben wir auf und kehrten um.

So viel schöner als das, was wir auf unserem Weg von den Bergen und den Reisfeldern sahen, konnte der Nationalpark ohnehin nicht sein. Auch ganz ohne Aussichtsbäume.

Nachtleben auf Yogya-Art

Entlang von frischgrünen Reisfeldern (und auch mal fast mittendurch, als die Straße wegen eines Festes gesperrt war) ging es also zurück in die Stadt. Hier standen trotz unseres zeitigen Aufstehens noch zwei spätabendliche Punkte auf unserem Tagesprogramm.

Unser erster Gang führte uns zum Malioboro Nachtmarkt. Denn Südostasien wäre für uns einfach nicht Südostasien, wenn wir die Nachtmärkte links liegen lassen würden. Hier kommen nach Sonnenuntergang Einheimische und je nach Lage und Bekanntheitsgrad mehr oder weniger viele Touristen zusammen, um günstig und gut zu essen und Geld für allerlei Schnickschnack auszugeben.

Nasi Goreng, frisch zubereitet auf einem Nachtmarkt von YogyakartaIn beiderlei Hinsicht enttäuschte Malioboro nicht, auch wenn es wirklich arg voll und zugestaut war. Das stilecht und in modernen Zeiten ganz ungewohnt auf einem Holzofen gekochte Nasi Goreng entschädigte selbst für dieses Verkehrschaos.

Solchermaßen gestärkt wagten wir uns nun zu einem Spektakel, welches es in dieser Form wohl nur in Yogyakarta gibt. Allabendlich wird nämlich der Platz vor dem Kraton, der Alun Alun Kidul, zum Schauplatz des witzigsten Tretauto-Ereignisses.

An die hundert Autokarosserien wurden zu Bling-Bling-Cars umgemodelt und lassen sich für kleines Geld einmal um den Platz steuern. Wohlgemerkt wird dieser dafür nicht abgesperrt! Es zwängen sich also Mopeds, Autos und das gelegentliche Fahrrad zwischen den grellbunt leuchtenden Tretautos. So eine Runde kann also durchaus etwas dauern.

Wir hatten uns deshalb gerade dagegen entschieden, selbst ein Bling-Bling-Car zu mieten, als wir gleich von mehreren Familien kurzerhand eingeladen wurden, ein Stückchen mitzutreten. Nach dem kleinen Starrummel von heute Morgen waren wir fast gar nicht mehr überrascht und nahmen das Angebot – mitsamt vieler Selfies – sehr gerne an.

Zurück zum Sultan

An unserem ersten Tag in Yogyakarta hatten wir dort gestanden, wo der Sultan seine offiziellen Termine wahrnimmt. An unserem letzten Tag im kulturellen Herzen Javas wollten wir dorthin, wo sich der Sultan zumindest früher privaten Lustbarkeiten hingab.

Das Wasserschloss Tamansari wurde Mitte des 18. Jahrhunderts für den Harem des Sultans erbaut. Dieser schaute von einem kleinen Türmchen auf das fröhliche Planschen. War ihm nach etwas weiblicher Gesellschaft, so soll er eine Blume durch das Fenster geworfen haben. Diejenige, die diese fing, durfte dann zu ihm nach oben.

Heute freilich ist der Sultan genau wie alle anderen zur Monogamie verdammt.

Ein weiterer Unterschied zu den guten alten Zeiten: Damals standen große Teile des Viertels unter Wasser. Geheime Gänge und Wasserwege führten zum Kraton und anderen strategischen Stellen innerhalb der Stadt. Sogar bis ans Meer soll ein viele Kilometer langer Fluchttunnel geführt haben. Unbestätigte Gerüchte besagen, dass der Sultan seinen portugiesischen Architekten und Baumeister nach Vollendung Tamansaris töten ließ. Zu groß sei ihm die Gefahr gewesen, dieser könne die Geheimnisse der Paläste und Tunnel verraten.

Zurück bleibt ein Gebäudekomplex, der wieder einmal verwinkelter ist, als man zunächst meint. Der eigentliche Wassertempel mit den drei Schwimmbecken ist zwar der schönste, aber doch nur ein kleiner Teil.

Weil wir beispielswiese die Unterwassermoschee auf eigene Faust im Leben nicht gefunden hätten, engagierten wir ausnahmsweise einen Führer. Dieser zeigte uns nicht nur die unterirdisch liegende Moschee. Er erklärte uns auch, dass geplant sei, das gesamte Viertel in altem Glanze wiederauferstehen zu lassen – Wasserwege und alles. Dafür müssten natürlich die Hütten weichen, die derzeit noch hier stehen. Dort lebten aber nur die Angestellten des Sultans und für die würde gut gesorgt. Neue Häuser an anderer Stelle stünden schon bereit. Wie weit die Menschen es dann zur Arbeit hätten, konnte oder wollte er uns jedoch nicht sagen.

Hindu-Tempel

Wer von Yogyakarta „nur“ nach Borobudur gefahren ist, der hat – man mag es kaum glauben – nur die Hälfte gesehen. Auf der anderen Seite der Stadt erhebt sich nämlich noch so eine unglaubliche Tempelanlage. Die Tempel von Prambanan sind etwa 50 Jahre jünger als Borobudur und zeugen von Javas hinduistischer Periode.

Auch Prambanan hat unter späteren Erdbeben, Schatzsuchern und Einheimischen auf der Suche nach Baumaterial gelitten. Nach Wiederaufbaumaßnahmen wurde die Tempelanlage 1991, im gleichen Jahr wie Borobudur, in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen.

Im Gegensatz zu dem buddhistischen Tempel, den wir uns tags zuvor angeschaut hatten, sind die historischen Anlagen bei Prambanan über ein größeres Areal verteilt. Immerhin drei davon konnten wir mit unserer Eintrittskarte erkunden.

Die größte Anlage besteht aus drei Haupttempeln, die den Gottheiten Shiva, Vishnu und Brahma gewidmet sind, drei etwas kleineren Wahana Tempeln für Nandi, Garuda und Angsa, sowie zahllosen Mini-Tempeln unterschiedlicher Bedeutsamkeit. Ein Großteil der 224 Perawa Tempel liegt zwar noch in Trümmern, aber an einigen wenigen Beispielen kann man schon sehen, wie diese kleinen Schreine einmal ausgesehen haben müssen. Davon einmal abgesehen bildet dieser Kranz aus scheinbar wahllos hingeworfenen Steinen auch ein beeindruckendes Tableau, aus dessen Mitte sich die sechs großen Tempel in den Himmel recken.

Quirliges Prambanan

Prambanan gilt, sicher vor allem zu Vermarktungszwecken, als der „Sonnenuntergangstempel“. Ein typischer, vollgestopfter Sightseeing-Bustour-Tag sähe dann auch so aus, dass man zuerst nach Borobudur und anschließend nach Prambanan gefahren würde. Da wir nirgends von einer speziellen Magie Prambanans zu Sonnenuntergang gelesen hatten, verzichteten wir hier allerdings auf den Exklusiv-Einlass zu später Stunde. Stattdessen stürzten wir uns mitten in die Massen, die die Anlage über die Mittagszeit besetzt hielten.

So war es auch eine ganze Ecke schwieriger, vor lauter Selfie-Anfragen auch etwas von den Tempeln zu haben. Besonders die Schulkinder hatten es uns angetan – und die fragten immerhin höflich und etwas schüchtern. Von zwei älteren Semestern wurde ich nämlich einfach so aufs Foto gezwungen, was ich natürlich wenig erheiternd fand.

Davon einmal abgesehen, genossen wir es, auf den Tempeln herum zu klettern und die wieder sehr kunstvollen Reliefs zu bestaunen.

Sewu Tempel

Einen kurzen Spaziergang weit weg lösten sich die Massen fast vollständig auf. Hier ging es unter anderem zum Sewu Tempel, der zwar rein optisch mehr Ähnlichkeit mit Prambanan aufweist, als mit Borobudur, aber ebenfalls ein buddhistischer Tempel ist. Einzigartig sind jedoch die großen Wächterstatuen, die sich an jedem der vier Eingänge befinden.

Weil wir diese Anlage beinahe für uns hatten, konnten wir die Stille und die ruhige Atmosphäre Sewus so richtig genießen. Lange sollte die Entspannung ohnehin nicht anhalten, denn auf uns wartete ja noch ein Rückweg – komplett mit Monsun-überschwemmten Straßen. Typisch Indonesien halt.Jan im blauen Regenmantel am Straßenrand bei Monsunregen in Yogyakarta

6 Comments

    1. Und wir uns erst!
      Indonesien ist irgendwie mein “happy place”. Da fühle ich mich sofort wohl. Mal schauen, ob sich das gleiche Gefühl auch in Malaysia, Thailand, Laos, Kambodscha einstellt. Sonst muss ich halt noch ein bisschen warten, bis wir wieder in Indonesien sind.

    1. Das ist wahr. Manchmal hat man beinahe den Eindruck, dass die Menschen vor hunderten von Jahren handwerklich viel mehr drauf hatten, als wir es heute haben. (Und auf mich trifft das definitiv zu!) Allerdings haben wir auf Bali auch schon gesehen, wie ein solcher Tempel komplett neu gebaut wurde – inklusive dieser beeindruckenden Steinmetzarbeiten.

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