In Adelaide ließen wir uns nach beinahe drei Monaten wieder auf ein Hostel-Abenteuer ein. So schlecht hatten wir es dabei auch gar nicht getroffen: Günstig, super zentral gelegen, Pancakes zum Frühstück und an vier Abenden die Woche gratis Abendessen! Gut, die Portionen waren eher winzig, aber es war Essen ohne Zusatzkosten und immerhin zweimal durften wir davon profitieren. Herz, was willst Du mehr? (Außer einer besseren Nachtruhe für Jan, der inzwischen offenbar besser im Camper als in einem richtigen Bett schläft…)
Wir ließen es etwas ruhiger angehen in Adelaide, wozu die Stadt auch durchaus einlädt. Blogupdates und gemütliche Stadtbummel standen auf dem Programm, das war es auch schon.
Nachdem wir unseren Campervan abgegeben hatten und ein paar notwendige Dinge erledigt hatten, für die verlässliches Internet unbedingt erforderlich ist, wollten wir uns an unserem ersten Tag in Adelaide zumindest noch ein wenig die Füße vertreten. Jan hatte dafür Tandanya als Ziel auserkoren, eine Aboriginal Art Gallery, die aktuell außer einer kleinen Ausstellung leider wenig anzuschauen hatte. Dafür nutzten wir den Rückweg, um auf der Rundle Road vorbeizuschauen. Diese Straße ist das kommerzielle Herzstück Adelaides und war jahreszeitgemäß in das australische Äquivalent von Weihnachtsdekoration gekleidet.
Wein und Kunst
Unseren zweiten Tag in Adelaide wollten wir den Museen widmen. Außerdem wollte Jan seiner neugefundenen Weinliebe nachgehen. Also marschierte ich in die South Australian Art Gallery, er aber ins National Wine Centre of Australia, was eigentlich eine Forschungseinrichtung der Universität von Adelaide ist.
Letzteres klingt zwar vielversprechend, aber leider hatte Jan mit seinem Timing etwas Pech. Da ein Teil des Gebäudes wegen einer Veranstaltung gesperrt war, musste er sich mit ein paar Basisinformationen und Geruchsproben zufrieden geben. Nicht einmal Weinproben gab es!
Witzigerweise verbrachte ich in der Kunstgalerie in etwa so wenig Zeit wie Jan in Weinzentrum, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Ich konnte nämlich einfach nicht mehr. Aus welchem Grund auch immer – weil die Installationen und Kunstwerke so gut waren, weil ich genug Kunst in den vergangenen Monaten gesehen hatte, die mich auf das hier vorbereitet hatte, weil ich an diesem Tag besonders aufnahmefähig war – 45 Minuten reichten, um mich komplett umzuhauen. Ich konnte heute einfach keine weitere Kunst mehr aufnehmen. Es mag verrückt klingen, aber eine so starke, beinahe körperliche Reaktion auf Kunst hatte ich noch nie verspürt. Mir blieb einfach die Luft weg.
Den Anfang machte eine Ausstellung eines Aborigine Künstlers, John Mawurndjul, von dem Werke aus seiner gesamten bisherigen Schaffensperiode gezeigt wurden. Er malt übrigens nicht im von Punkten geprägten Stil, der in Europa vor allem mit Aborigine-Kunst assoziiert wird. Dieser Stil, der gemeinsam mit den dots, also „Punkten“, zu den beiden wichtigsten indigenen Kunststilen gehört, bedient sich kreuzförmig übereinander gelegter Striche, die regelrechte Geflechte ergeben.
Dass Kunst so etwas kann…
Im Stockwerk darüber dann hat diese Galerie etwas getan, was wirklich selten ist. Statt sich auf verschiedene Kunstepochen oder zumindest Sujets zu konzentrieren, war jeder Raum einem emotionalen Thema gewidmet. Das hatte zur Folge, dass Videoinstallationen (die normalerweise gar nicht meins sind) neben alten Gemälden neben modernen Skulpturen gezeigt wurden. Eine irrwitzige Mischung, die trotzdem passte und vor allem alte Muster aufbrach.
Ich kann gar nicht sagen, was mir schlussendlich den Atem raubte. Es muss eine Kombination gewesen sein aus dem Video von dem Mann, der so lange den Atem anhielt, bis er beinahe erstickte, dem Raum, in dem mit rotem Faden ein Gewebe gesponnen war, dass man sich fühlte, als wäre man ein Blutplättchen in einem Adergeflecht, den beiden zu einer Skulptur verbundenen Pferdehälften, die mich völlig unvorbereitet trafen. Egal, was es am Ende war: Ich konnte nicht mehr. So viele Eindrücke, so viele Emotionen! Mir schwirrte der Kopf und ich musste das Ganze erstmal sacken lassen.
Gleichzeitig war ich unglaublich dankbar für diese Erfahrung. Denn versteht mich nicht falsch: All das Aufgewühltsein und der beinahe physische Eindruck, den diese Kunst bei mir hinterlassen hat waren kein schlechtes Erlebnis. Ganz im Gegenteil!
Ein großes Unterwasserungetüm
Trotzdem war es mehr als verwunderlich, dass ich mich danach noch überreden ließ, zumindest einen Blick ins South Australian Museum zu werfen. Eigentlich war mir nämlich nur noch nach Hinlegen und Ausruhen. Obwohl ich doch gar nicht viel getan hatte!
Aber im South Australian Museum gibt es ein Modell eines Riesenkalmar, das Jan unbedingt sehen wollte. Tatsächlich ist dieses 1:1 Modell zumindest sehenswert. Erstreckt es sich doch über drei Etagen des Gebäudes. (Sinnvollerweise wurde es in einem alten Fahrstuhlschacht untergebracht.)
Auch der Rest des Museums sah wirklich gut aus. Aber ich war heute einfach nicht mehr aufnahmefähig, also blieb es bei einem schnellen Durchschlendern. Sollten wir jemals wieder in Adelaide sein (und die Stadt hätte einen zweiten Besuch sicher verdient) dann müssen wir der Aborigine-Abteilung definitiv mehr Zeit widmen.
Marktleben in Südaustralien
Für ein wenig Kontrastprogramm (und weil wir noch ein paar Zutaten für unser Abendessen brauchten) gingen wir anschließend zum Central Market. Das ist so ein Markt, der zumindest an einem normalen Wochentag zum gemütlichen Schlendern, Staunen und Ausprobieren einlädt. Neben den üblichen Obst- und Gemüseständen gibt es Käse, Wein und alte Bücher. Eben alles, was man so für ein Wochenende benötigen könnte.
Erst an unserem letzten Tag in Adelaide konnten wir die Stadtbesichtigung etwas strukturierter angehen. Auf der anderen Seite hatte uns das, was wir bisher von der Stadt gesehen hatten, auch so sehr gut gefallen. Die Hauptstadt Südaustraliens ist zwar auch dafür bekannt, dass es hier viele sehr schöne Gebäude gibt, die umgeben sind von sehr, sehr hässlichen Gebäuden. Aber irgendwie machte das für uns auch den Charme der Stadt aus.
City of Churches und allerhand anderer Widersprüche
Da die hiesigen Free Walking Tours von einem einzigen Studenten durchgeführt werden, finden sie lediglich alle zwei Tage statt. Allein daran lässt sich vielleicht ablesen, wie abseits der üblichen Touristenpfade sich Adelaide befindet. Ganz konkret lernten wir dann auf der Tour, dass sich nur 5% aller ausländischen Besucher Australiens nach Adelaide verirren. Dabei hat diese Stadt das gar nicht verdient! (Zugegeben, sie liegt etwas ab vom Schuss und vermutlich wissen die wenigsten, dass diese Stadt überhaupt existiert.)
Wie erfuhren auch noch allerhand anderer interessanter und skurriler Fakten. Beispielsweise, dass Adelaide wahnsinnig stolz auf sich ist, weil es die einzige australische Kolonie ist, die sich nicht auf Gefangenentransporte stützte. Trotzdem (oder gerade deshalb?) kam Adelaide wirtschaftlich und gesellschaftlich lange Zeit nicht so richtig vom Fleck. Und auch heute hat die Stadt unter Australiern kein besonders attraktives Image.
Dabei war Adelaide auch in vielerlei anderer Hinsicht unter den progressivsten Gegenden Australiens. Das Frauenwahlrecht und die frühe Gründung von Gewerkschaften sind zwei Beispiele dafür. Südaustralien war außerdem der erste Bundesstaat Australiens, der die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Abstammung unter Strafe stellte, sowie Abtreibungen und Homosexualität legalisierte.
Trotz alledem wird Adelaide nur schwer sein verstaubtes, erzreligiöses Image los. Die Stadt trägt den Beinamen „Stadt der Kirchen“, was aber nicht an der Vielzahl von Kirchen liegt (von denen es wirklich gar nicht so viele gibt. Uns sind zumindest kaum Kirchen aufgefallen.) Vielmehr beruht dieser Spitzname darauf, dass es in Adelaide viele Glaubensrichtungen gab, die allesamt geduldet wurden. Es gab und gibt in Adelaide also nicht viele Kirchengebäude, sondern viele verschiedene kirchliche Gemeinden. Heute sind die meisten Adelaider im Übrigen Atheisten.
So schnell kann’s gehen
Erst seit sechs Jahren tut sich in der Stadt wirklich etwas. Die alte, konservative Regierung wurde zumindest für eine Legislaturperiode abgewählt und die zumindest für ein paar Jahre regierenden Labours leiteten eine komplette Rundumerneuerung ein. Als Vorbild – und das war sicher klug – nahmen sie sich Melbourne. Statt also ein vermutlich völlig verkopftes und unstimmiges „eigenes“ Konzept zu entwickeln, orientierte man sich bei der Neugestaltung und -ausrichtung Adelaides an der sehr erfolgreichen und beliebten Hauptstadt Victorias, die uns ja auch so gut gefallen hatte.
Das Resultat? Ein freundlicheres, lebendigeres Stadtbild, mehr Kunst und Kleingewerbe auf den Straßen, mehr und größere Sportevents, etc. etc. Sowohl Einwohner als auch Besucher sind mehr als angetan von der Richtung, in die das alles geht. Und das beste? Obwohl Labour den Regierungssitz wieder verloren hat, haben die Konservativen den Kurs nicht wieder geändert.
(K)eine Königin und einige Musiker
Manche Details und Kuriositäten einer Stadt erfährt man nur auf einer Stadtführung. Am Rathaus Adelaides soll sich beispielsweise das schlechteste Portrait von Königin Victoria befinden. Fairerweise muss man hinzufügen, dass von keiner der Büsten über den Torbögen der Frontfassade klar ist, um wen es sich handelt. Der Architekt schwieg sich bis zu seinem Tod aus. Für uns aber schaut der mittlere Kopf, wenn auch ohne Vollbart, alles andere als weiblich aus.
Direkt um die Ecke findet man dann aber (am gleichen Gebäude, wohlgemerkt!) ein Gruppenbild, das so ziemlich jeder sofort zuordnen kann. 1964 nämlich kamen die Beatles nach Adelaide und wurden hier von sage und schreibe 300.000 Fans begrüßt. Niemals zuvor und niemals danach kamen so viele Menschen zusammen, um die „Pilzköpfe“ zu begrüßen.
Umso erstaunlicher, weil Adelaide eigentlich gar nicht auf der Tourprogramm stand und erst hinzugefügt wurde, als eine Petition gestartet wurde und 80.000 Unterschriften erreichte. Denkt daran: Das war lange vor Zeiten des Internets und von Onlinepetitionen. Die Adelaider müssen echte Hardcore-Beatles-Fans gewesen sein.
Das Land der seltsamen Sportarten
Nach unserer Walking Tour, bei der wir auch noch einen kurzen Exkurs in die Geistergeschichten Adelaides erhielten, machten wir einen kleinen, ungeplanten Sprung zum Adelaide Oval. Dieses Sportstadium müssen sich gleich zwei Footy-Mannschaften mit einem Cricket-Team teilen, worüber letztes wohl nicht so glücklich ist. Aber Footy, das gute Aussichten auf den Titel „australischer Nationalsport“ hat und das irgendeine verquere Mischung aus Rugby und Football sein muss, ist hier einfach zu populär und sollte auch in Adelaide näher ans Zentrum gebracht werden.
Trotzdem ist das Oval traditionell ein Cricket-Stadium. Aber wenn ich ehrlich bin, verstehe ich beide Sportarten nicht so richtig und leider fanden zum Zeitpunkt unseres Besuches keine Spiele statt, so dass wir uns auch nicht aufklären lassen konnten.
Was wir aber verstanden haben ist, dass es keinen größeren, besseren und sympathischeren Cricketspieler als Donald Bradman gegeben hat, gibt oder jemals geben wird. Dieser australischen Legende ist im Stadium eine kleine Ausstellung gewidmet. Die hat uns den Sport allerdings auch nicht näher bringen können oder erklärt, was nun genau dieser Batting Average von 99,94 bedeutet, den er in seiner Karriere erreichte. (Zum Vergleich: Der zweitbeste Spieler aller Zeiten hatte einen Durchschnitt von 60irgendwas. Also auch wenn wir nicht wissen, was das genau ist, scheint es schon sehr beeindruckend zu sein. Und nein, ihr müsst euch jetzt kein Cricket-Wissen anlesen. Es geht uns ganz gut mit unserer Ignoranz auf diesem Feld.)
Mehr Grün, mehr Rasen
Von einem gepflegten Grün zum nächsten: Zum Abschied machten wir einen Spaziergang durch den botanischen Garten von Adelaide. Jetzt mal ernsthaft: Wie schaffen es die Ozeanier (denn in Neuseeland war das auch schon so) nur, so traumhaft dichten, grünen, beinahe matratzenartigen Rasen zu züchten?! Das können nicht nur die britischen Wurzeln sein. Selbst die Campingplätze haben einen Rasen, der jeden deutschen Gärtner vor Neid erblassen lassen würde.
Neben so tollem Bodenbewuchs bestaunte Jan seine ersten Riesenseerosen und gemeinsam wunderten wir uns über diese seltsamen Riesenzapfen, die in manchen Pflanzen wuchsen. Die Natur hat schon verrückte Dinge hervorgebracht. Wie gut, dass auch die Australier botanische Gärten lieben und jeder noch so kleine Ort einen solchen bereithält.
Als Betthupferl ein bisschen Milch
Hatten wir in Melbourne noch mit Cocktails angestoßen, taten wir das nun in Adelaide mit Eiskaffee aus dem Kiosk an der Ecke. Das wäre im Grunde keine Erwähnung wert, gäbe es dafür nicht einen besonderen Grund. Denn wie wir heute gelernt hatten, gehört Südaustralien zu den drei Ländern, in denen sich Milchmischgetränke besser als Cola verkaufen. Hier sogar dreimal so gut!
Dieser Tradition schlossen wir uns natürlich gerne an und ab jetzt gehört Eiskaffee zur Grundausstattung unserer Campervankühlschränke. Das Zeug ist nämlich verdammt lecker.
Na das klingt nach einem netten Ausflug. Das Kunstmuseum fand ich auch recht interessant, aber leider hatte ich in der Stadt keine Walking-Tour gemacht.
Die Walking Tour war ganz cool, aber nicht unbedingt notwendig, um das Flair der Stadt zu “erspüren”. Es gab vor allem fun facts zur Stadt und zu dem, was dort die letzten sechs Jahre so passiert ist. Außerdem sind wir jetzt zwangsrekrutierte Fans von den Adelaide Crows. Dass wir immer noch keine Ahnung von “Footie” haben ist angeblich Nebensache.
Sieht ganz danach aus, als sei das eine tolerante, weltoffene Stadt, die es verdient hätte, häufiger erwähnt- und besucht-zu werden.
Das trifft es insgesamt ganz gut. Ein paar mehr Touristen dürften gern kommen, aber nur so viele, dass es nicht überlaufen ist und immer noch ein Geheimtipp bleibt.