Huaraz: Trekkinghauptstadt Perus

Huaraz: Trekkinghauptstadt Perus

Vom wüstenartigen Surferstrand in Huanchaco konnte es für uns eigentlich nur wieder nach oben gehen. Warum also nicht gleich richtig weit hoch: Huaraz liegt etwa 3.100 Meter über dem Meeresspiegel und gilt als die Trekking- und Bergsportkapitale Perus. Wir hatten schon viel von den möglichen Wanderungen durch atemberaubende Landschaften gehört und wollten diese nun endlich mit eigenen Augen sehen.

Dass die Stadt an sich keine Schönheit ist, wurde uns direkt bei unserer Ankunft am noch sehr frühen Morgen klar. Kein Wunder, wurde sie doch in den letzten 80 Jahren gleich zwei Mal nahezu komplett zerstört: 1941 brach von einem Gletscher oberhalb der Stadt ein bedeutendes Stück ab und rutschte in den darunterliegenden See, welcher infolgedessen schlagartig über die Ufer trat. Die nun ins Tal rauschende Wasser-Eis-Lawine begrub die Stadt unter sich und forderte zahlreiche Menschenleben. Noch zerstörerischer war allerdings ein starkes Erdbeben im Jahre 1970, welche beinahe die komplette Stadt dem Erdboden gleich machte und circa 70.000 Menschen das Leben kostete. Kaum verwunderlich ist daher, dass es in der gesamten Stadt keine historischen und/oder sehenswerten Gebäude gibt und sie vor allem als Basislager für unzählige berghungrige Touristen dient. Dementsprechend findet sich in der Stadt die komplette Serviceinfrastruktur für den leichten Tagesausflug bis zur mehrtägigen hochalpinen Profi-Expedition.

Andere Länder, andere Märkte

Am spannendsten war für uns das lokale Marktgeschehen. Praktischerweise befand sich unser Hostel direkt neben den zentralen Markthallen mit exzellentem Blick auf das umliegende Treiben. Hühner wurden lebend angeliefert und hingen eine halbe Stunde später küchenfertig gerupft am Haken. Die indigene Bevölkerung der Stadt und aus den umliegenden Dörfern karrte ihre Waren in die Hallen hinein oder bot sie direkt auf der Straße an. Von der Ladefläche eines Pickups wurden lebende Meerschweinchen angepriesen und zappelnd in die allgegenwärtigen Säcke gepackt. Was Tierschützer bei uns auf die Barrikaden bringen würde, ist hier Alltagskultur. Da müssen auch wir immer mal wieder tief durchatmen. Das ist eben so.

Faszinierend ist die Vielfalt der Kartoffel. In ihrem Herkunftsland Peru kennt man angeblich über 3.000 verschiedene Sorten. Weltweit sollen es etwa 5.000 sein. Hier gibt es die bei uns recht einheitlich daherkommende Knolle in den verschiedensten Größen, Formen, Farben und, wie wir immer mal wieder feststellen dürfen, in sehr unterschiedlichen Geschmacksvarianten. Mein Favorit ist bisher eine Kartoffel, deren dicke Schale aussieht wie ein lila-brauner Marmorkuchen und die im Geschmack einer Süßkartoffel ähnlich ist. Lecker! Probiert haben wir die im Obergeschoss der Markthalle. Da gibt es meist viele kleine Imbisse, die lokales Essen anbieten. Dort vertilgten wir das Tagesmenü inmitten von huttragenden Einheimischen. Gut und günstig.

Der Plan

Nach einigem Austausch mit anderen Backpackern in unserem beinah vollständig deutschsprachigem 10-Bett-Dorm bastelten wir uns das folgende Tour-Programm zusammen:

  1. Tag: Laguna Churup (4.450 Meter), auf eigene Faust
  2. Tag: Laguna 69 (4.600 Meter), geführte Tour
  3. bis 6. Tag: Santa Cruz Treck (4.750 Meter), geführte Tour

Carina, Lea und Sebastian (den wir schon in Huanchaco getroffen hatten) fanden Gefallen an unserem Plan und buchten die Touren zur Laguna 69 und den Santa Cruz Treck kurzerhand bei der selben Agentur. Einen guten Teil des Tages verbrachten wir außerdem mit Souvenir-Shopping. Angeblich soll das in Huaraz zu unschlagbaren Preisen möglich sein und für die anstehenden Touren brauchten wir schließlich noch warme Mützen und Handschuhe. Wie sich da noch die beiden Wollpullover in unsere Rucksäcke verirrten, kann ich mir auch nicht erklären.

Laguna Churup: Höhentest

Trekking-Touren starten ja leider immer sehr früh und obwohl wir die Laguna Churup auf eigene Faust erwandern wollten, wurde uns ein zeitiger Aufbruch empfohlen. Nicht zuletzt, weil Punkt 7 Uhr unweit unseres Hostels das einzige direkt zum Ausgangpunkt fahrende Collectivo starten sollte. Als wir pünktlich im Minibus saßen, mit uns ausschließlich weitere Touristen, tauften wir es Gringo-Collectivo. Die Abfahrtszeit war trotzdem typisch peruanisch etwa eine halbe Stunde später.

Auf staubigen Pisten schraubten wir uns bis auf etwa 3.900 Meter hinauf. Die übrigen 550 Höhenmeter mussten wir zu Fuß erklimmen. Immer wieder drehten wir uns während des Aufstiegs um und ließen uns für einen Moment von der Landschaft einnehmen. Die schneebedeckten schroffen 6.000er-Gipfel der Cordillera Blanca vor uns und die etwas flacheren, runden Berge der Cordillera Negra hinter uns. Um uns herum fanden wir zu unserer Freude außerdem noch jede Menge verschiedener Pflanzen und Blüten, die farbenfroh auf sich aufmerksam machten. Und das alles bei schönstem Sonnenschein mit entsprechenden Temperaturen, die es jedoch nicht schafften die im Schatten liegenden Wegstücke aufzutauen.

Nachdem wir zwei kurze Kletterpassagen bezwungen hatten ging es nur noch ein kurzes Stück bergan, bis wir nach etwa 2 Stunden am Ziel waren. Die Laguna Churup lag mit glasklarem Wasser vor uns und lud zum Baden ein. Nur die Wassertemperatur war für uns auch nach ungezählten Kaltwasserduschen in verschiedenen Hostels immer noch nicht einladend. Deshalb zogen wir es vor am Ufer die Sonne und unsere mitgebrachten Sandwiches zu genießen.

Leichterer Rückweg

Für den Rückweg entschieden wir uns für einen teilweise anderen Weg, um die Kletterpartien zu vermeiden. Zwar ging es auf diesem Pfad zunächst noch einmal fast 100 Meter hinauf, aber so bekamen wir noch einen tollen Blick von oben auf den See. Die Höhe machte uns schon ganz schön zu schaffen und wir japsten ordentlich nach Luft. Auf Meereshöhe wäre dieser Weg für uns an sich kein Problem gewesen, doch hier fehlte einfach unsere gewohnte Dosis Sauerstoff. Aber wir waren ja hier, um uns an genau diese Höhe und den damit verbundenen Sauerstoffmangel zu gewöhnen, damit wir die kommenden Wanderungen gut bewältigen würden.

Der Abstieg war etwas leichter, wenn auch länger. Ziemlich geschafft erreichten wir das Collectivo zurück nach Huaraz. Leider warteten wir noch eine ganze Weile auf die langsameren Läufer, doch Maria wurde gut unterhalten: Zunächst weidete um uns herum eine Schafherde, beaufsichtigt von einer Schäferin in traditionellem Gewand, und dann konnte sie sogar noch einen Teil eines Fußball-WM-Spiels auf dem Smartphone des Fahrers schauen.

Laguna 69: krasse Farben

Dieser Tag war nichts für Morgenmuffel. Morgens 5 Uhr stand der Bus vor der Tür um uns für die Tagestour zur Laguna 69 abzuholen. So unspektakulär der Name ist, umso schöner sollte die Lagune sein. Wie kam sie zu diesem Namen? Das ist recht einfach: Nachdem die bereits erwähnte Wasser-Eis-Lawine Huaraz und weitere Ortschaften überrollte hatte, ordnete die peruanische Regierung eine Erfassung aller Lagunen und deren Gefahrenpotential für umliegende Gemeinden an. Dabei wurden alle Gewässer durchnummeriert. Während die meisten ihren ursprünglichen, meist aus indigenen Erzählungen abgeleiteten Namen behielten, blieb für den 69. See eben diese Nummer hängen.

Touristisch vermarktet wird sie aber nicht wegen des Namens, sondern aufgrund der tollen Farben. Zumindest sehen die Bilder der Touranbieter alle fantastisch aus und dass hier viele mit Photoshop und Co. umgehen können, mussten wir leider schon mehrfach feststellen. Ob die 69 hier den Erwartungen standhalten würde, galt es herauszufinden.

Erste Farbexplosion

Der Bus ließ Böses erahnen. Ja, es war ein Bus. Kein Van oder ähnliches. Allein in diesem Bus saßen so an die 50 Leute, die alle dasselbe Ziel hatten wie wir fünf (Lea, Carina und Sebastian waren jetzt mit von der Partie). Inklusive einer kurzen Frühstückspause kurvten wir etwa 3 Stunden die Berge hinauf. Neben uns kletterten beinah senkrechte Felswände mehrere hundert Meter in die Höhe. Die Landschaft beeindruckte uns einmal mehr mit ihrer schroffen Schönheit. Erstes Highlight: Die neontürkise Laguna Llanganuco. Dort legten wir einen ganz kurzen Fotostop ein. Ja, die Fotos sind krass, aber da haben wir nicht getrickst. Kein Filter, kein Photoshop. Die Farben sind wirklich so!

700 Meter bergauf

Ein Stück weiter schickte uns der Guide mit einem groben Zeitplan mehr oder weniger eigenverantwortlich auf den gut ausgetretenen Pfad. Wie sonst sollte er auch eine Gruppe von über 50 Personen (es kam noch ein kleiner Bus dazu) unter Kontrolle halten. Zunächst ging es über eine grünbunte Ebene entlang eines Flusses immer in Richtung der weißen Berge. Neben uns ragte die Doppelspitze des Huascarán, mit 6.768 Metern der höchste Berg der Cordillera Blanca, steil in den Himmel.

Später mussten wir uns ganz schön bergauf quälen. Insgesamt galt es schließlich 700 Höhenmeter zu überwinden. Einmal hoch und dann auch wieder herunter. Schnell zerfiel da die große Gruppe in viele kleine Grüppchen. Wir waren nie allein auf dem Weg, aber es fühlte sich zum Glück auch nicht zu voll an, obwohl die Laguna 69 extrem vermarktet wird. Anders als die Laguna Churup vom Vortag, wo wir nur mit schätzungsweise 20 Leuten unterwegs waren.

Zweite Farbexplosion

Nach etwa zweieinhalb Stunden (3 Stunden waren als Durchschnitt angegeben – wir werden fitter!) erreichten wir nach einem zweiten steilen Anstieg unser Ziel. In dem Moment, in dem wir die Lagune das erste Mal erblickten war klar, dass hier mal keiner an den Farben gedreht hatte, weil es einfach nicht nötig war. Ich habe bisher noch kein Gewässer gesehen, dass an diese Färbung herankommt. Da standen wir erstmal mit runtergeklappten Kiefern und genossen einfach nur den Augenblick und den kleinen Triumph es in weniger als der durchschnittlichen Zeit geschafft zu haben. Unsere drei Freunde hatten da deutlich stärkere Probleme mit der Höhe (die Lagune liegt immerhin auf 4.600 Metern) und brauchten eine ganze Weile länger, doch ans Aufgeben haben auch sie nicht gedacht. Irgendwann kamen sie total fertig, aber glücklich, dass sie es geschafft hatten, oben an und waren ähnlich überwältigt wie wir. Kurzes Picknick, Fotoshooting und schon ging’s wieder auf den Rückweg.

Runter geht’s ja eigentlich einfacher, aber anstrengend ist es schon. Die armen Knie… Was waren wir froh, als wir endlich wieder am Bus waren, der uns zurück nach Huaraz brachte. Sehr müde aber glücklich packten wir unsere Sachen für den am nächsten Tag beginnenden 4-Tages-Treck.

Santa Cruz Treck: eine der schönsten Wanderungen

4 Tage wandern in faszinierender Natur lagen vor uns. National Geographic betitelt den Treck als einen der schönsten Wanderwege der Welt. Da waren unsere Erwartungen natürlich schon sehr hoch. Kleiner Spoiler: wir wurden nicht enttäuscht! Jetzt bekamen wir auch wirklich unseren kleinen Bus, in dem wir morgens gleich unsere sieben Leidensgenossen kennenlernten. Alle sehr sympathisch und auf ihre Weise originell. Da waren die zwei Engländer Gemma und Daniel, die zwei Franzosen Sarah und Benoit und drei weitere Deutsche: Milena, Valentin und Marc. Natürlich hatten wir auch einen Guide dabei: Maximo. Aufgewachsen irgendwo in den Bergen der Cordillera Blanca und ein netter, witziger Typ. Insgesamt waren das sehr gute Voraussetzungen für die gemeinsame Zeit.

Aller Anfang ist Bus

Leider stand zunächst eine 5-stündige Busfahrt an. Immerhin: Bereits jetzt ging es durch fantastische Natur und wir bekamen jede Menge grandioser Ausblicke zu sehen. Doch eigentlich wollten wir doch wandern gehen…

Gegen Mittag schließlich erreichten den Ausgangspunkt, wo wir eine Kleinigkeit zu uns nahmen und anschließend unser Gepäck und die komplette Campingausrüstung auf fünf Esel verteilten. Auf diese Weise erleichtert, konnten wir den Weg nur noch mit unserem Tagesrucksack antreten. Für den ersten Nachmittag waren uns eigentlich nur etwa 150 zu erklimmende Höhenmeter in Aussicht gestellt worden. Schnell mussten wir feststellen, dass es wohl doch ein paar mehr werden dürften, da wir zunächst ordentlich bergab gingen, nur um nach dem Passieren der Talsohle die ganzen Meter wieder hinauf zu laufen. Etwa vier Stunden bis zum Camp durch saftige Wiesen und kleine Wälder, immer mit Blick auf die hier komplett grünen Berge, waren insgesamt gut zu bewältigen.

Basic Camping

Am späten Nachmittag kamen die Zelte des ersten Lagers auf einer Wiese in 3.750 Metern Höhe in Sicht. Ein Küchenzelt, ein Essenszelt, vier Schlafzelte und … kein Toilettenzelt. Ups, da hatten unsere Guides beim Packen wohl die Zelte verwechselt. Nun hatten sie zwei Küchenzelte, aber kein Toilettenzelt dabei. Aber angeblich sollte es auf diesem Platz eine Art Toilette geben. Diese stellte sich als eine kreisrunde Mauer heraus, wobei zwei Viertel der Mauer nicht existierten. Mittig befanden sich zwei Löcher im Boden. Das sollte also das Klo sein. Nein, Danke. Wir gingen alle irgendwo in die Büsche. Davon versprachen wir uns ein wenig mehr Privatsphäre.

Die Lage des Platzes insgesamt war herrlich. Blick auf die Berge, jetzt teilweise auch wieder mit weißen Gipfeln, und ein Fluss direkt neben den Zelten. Aus diesem gab es Wasser und er diente für die harten unter uns als Badezimmer mit fließend Kaltwasser. Wirklich Kaltwasser. Brrr. Es hat mich trotzdem nicht davon abgehalten eine beinah komplette Dusche zu nehmen. Aber nochmal: Eiskaltwasser! Direkt vom wenige Kilometer entfernten Gletscher.

Zum Glück wurde uns bald heißer Coca-Tee serviert, der nicht nur gut schmeckt, sondern auch bei Problemen mit der Höhe gut ist. Nach unseren beiden vorangegangenen Tagestrecks hatten wir zwei damit aber keine Schwierigkeiten mehr. Einige unserer Mitstreiter leider schon.

Sterne ohne Ende

Während wir genüsslich unseren Tee schlürften und das Abendessen vertilgten, wurde es draußen sehr schnell dunkel und die ersten Sternchen begannen zu funkeln. Ich lockte Maria von der heißen Teetasse heraus, denn das musste sie einfach sehen. Sie trat aus dem Zelt und kommentierte den nun beeindruckenden Sternenhimmel der Südhalbkugel mit einem sehr überwältigten „Holy fuck!“

Ja, der war wirklich krass, vor allem für diejenigen unter uns, die den südlichen Sternenhimmel noch nie gesehen hatten. Noch dazu an einem Ort, an dem es keine Lichtverschmutzung gibt. Ich habe versucht den Eindruck mit einer Langzeitbelichtung der Spiegelreflexkamera einzufangen und ich bin auch ein bisschen stolz auf das Ergebnis. Es ist zwar nicht zu vergleichen mit dem persönlichen Erlebnis, aber toll sind die Bilder trotzdem geworden, auch wenn mir beinahe die Finger abgefroren sind. Hatte ich erwähnt, dass wir am nächsten Morgen Eis auf den Zelten hatten? Zelten bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt. Was man nicht alles macht, um tolle Natur zu erleben.

Hart, härter, zweiter Tag

Am folgenden Tag wurden wir von einem der Esel geweckt, der am anderen Flussufer I-ahh-te um auf sich aufmerksam zu machen. Wir interpretierten es als: „Ich will endlich Gesellschaft. Steht auf!“ Wir wollten alle nicht so richtig, denn wir wussten was uns bevorstand. Der zweite Tag. Der härteste Tag des ganzen Trecks. Fünf Stunden bergauf zum Pass Punta Unión auf 4.750 Metern Höhe, dem höchsten Punkt der ganzen Wanderung, und anschließend etwa zwei bis drei Stunden bergab zum Camp 2 auf 4.200 Metern.

Frisch ans Werk. Mit gutem Tempo stiefelte unsere Gruppe dem Pass entgegen und wir fühlten uns mittlerweile auch alle etwas besser. Noch besser fühlten sich unsere Köchin und unser Eseltreiber. Obwohl die beiden noch das komplette Camp 1 abbauen mussten, überholten sie uns schon nach kurzer Zeit in atemberaubenden Tempo. Und die Köchin hatte wohl auch keine Lust den kompletten Weg zu gehen und kürzte einfach ab, indem sie die ganzen lästigen Serpentinen ausließ und einfach auf direktem Weg nach oben lief als würde sie mal eben zum Bäcker laufen um Brötchen zu besorgen. Wir standen nur da und schüttelten stumm unsere Köpfe.

Punta Unión: 4750 Meter

So leicht wie ihr fiel es uns wirklich nicht, den höchsten Punkt des gesamten Trecks auf 4.750 Metern Höhe zu erklimmen. Dennoch, wir haben es alle geschafft und auf dem „Gipfelfoto“ ist uns die Freude sicherlich anzusehen. Zumal wir oben unser Mittagessen bei einem tollen Blick auf den vor uns liegenden Abschnitt des Weges genießen konnten.

Frisch gestärkt setzten wir zum Abstieg Richtung Camp 2 an. Der Weg ließ sich erfreulicherweise besser laufen als der Aufstieg, weshalb wir zügig vorankamen. So erreichten wir das Lager bereits am frühen Nachmittag und beschlossen einen Teil des dritten Tages vorzuziehen. Auf diese Weise würden wir den Treck einen Tag früher beenden können und den letzten Tag noch eine heiße Quelle besuchen um unseren geschundenen Muskeln ein kleines Verwöhnprogramm zu gönnen. Außerdem würden wir die komplette Strecke mit der ganzen Gruppe laufen, denn Gemma und Daniel hatten von vornherein nur drei Tage gebucht, um die englische Fußballnationalmannschaft im WM-Viertelfinale anfeuern zu können.

Nur ein kleiner Abstecher

Beschlossen, getan. Der „kleine“ Abstecher bestand in einem Ausflug zu einer Lagune. Laut Maximo, unserem Guide, eineinhalb Stunden hin und ein bis eineinhalb Stunden zurück. Das klang machbar und bis auf zwei Mitstreiter fühlten wir uns alle fit genug. Zügig und frohen Mutes verließen wir das Camp und liefen wiedermal in Richtung schneebedeckter Gipfel. Diesmal in Großaufnahme: Das Paramount-Logo, dessen reales Vorbild sich tatsächlich hier befinden soll und nicht Paramount sondern Artesonraju heißt und 6.025 Meter hoch ist.

Weiterhin der Alpamayo (5.947 Meter), angeblich einer der schönsten Berge der Welt, allerdings von der anderen Seite. Wer auch immer das gewählt hat, aber schön ist er tatsächlich, selbst „von hinten“. Ganz, ganz klein konnten wir an diesem Berg sogar ein paar Bergsteiger erkennen, die es offensichtlich auf den Gipfel abgesehen hatten.

Der Weg war echt schön. Zu unserer Linken sahen wir die Spuren eines Erdbebens von 2011. Dort war während der Erdstöße ein Stück des Gletschers in die darunterliegende Lagune gerutscht, welche daraufhin überlief und gewaltige Erd- und Geröllmassen mit sich ins Tal riss. Ein sehr beeindruckender Anblick, bei dem wir uns als Menschen mal wieder sehr klein und schwach fühlten.

Biscuit-Animals

Wir durchwanderten noch eine dieser grünen Ebenen mit knorrigen Bäumen. Ein paar halbwilde Pferde und Rinder grasten auf der weiten Fläche. Am Fuß der Berge regte sich dann plötzlich etwas. Bei genauerem Hinsehen machten wir mehrere graue Tierchen aus. Der Vorderteil ähnelte stark einem Kaninchen, während das Hinterteil eher beim Eichhörnchen abgeguckt wurde und die Größe widerum passte zu einem großen Feldhasen.

Maximo nannte uns den spanischen Namen, bei dem Wir alle nur Biscuit (engl. Keks) verstanden. Von da an hießen die possierlichen Viecher bei uns nur noch die Biscuit-Animals. Die richtige Bezeichnung lautet wohl Viscacha (im Spanischen wird das ‚V‘ wie ein ‚B‘ ausgesprochen, daher das Biscuit-Animal). Im Deutschen werden sie als Hasenmäuse oder Bergviscachas bezeichnet und sind mit den Stachelschweinen verwandt (was es nicht alles gibt). Der erste Kommentar von Maximo: „Muy rico!“ – sehr lecker! Diese Südamerikaner denken auch nur ans Essen.

Der Lagune waren wir bei all dem Tiergegucke allerdings noch nicht näher gekommen. Wir haben sie bis dahin noch nicht mal gesehen. Maximo meinte immer nur sie wäre weiter rechts, weiter hinten und weiter oben. Ah ja… Der Weg zog sich und die eineinhalb Stunden waren längst vorbei. Achso, hoch ging es natürlich auch noch kräftig, aber das kannten wir ja bereits vom Vormittag.

Lagune in Sicht

Irgendwann kamen wir an eine weitere Höhenstufe, an der es tatsächlich so aussah, als ob sich die Lagune oberhalb befinden könnte. Ein letzter Aufstieg durch noch einmal sehr schöne Natur, am oberen Ende über rotes Geröll und dann, dann lag sie tatsächlich wunderschön vor uns. Ein Bergsee eingerahmt von wunderbaren Bergen, von denen sich ein Gletscher bis in die Lagune hinein erstreckt. Die Ansicht war die weiteren zweieinhalb Stunden wert.

Dumm nur, dass wir denselben Weg noch zurück mussten. Zu diesem Zeitpunkt war uns dann auch mehr oder weniger klar, dass wir nicht mehr bei Tageslicht ins Camp zurückkehren würden. In weiser Voraussicht hatten wir unsere Stirnlampen mitgebracht, die wir auf dem Rückweg dann auch wirklich brauchten. Es ist schon ein anderes Gefühl, diese teilweise steilen Gebirgspfade nur im Schein der LED-Lichter entlangzugehen. In diesem Moment freute ich mich sehr über den Fortschritt der Technik. Mit den alten Taschenlampen wäre das noch um einiges abenteuerlicher geworden.

Völlig fertig, aber glücklich im Camp

Gegen 19 Uhr waren wir alle völlig erledigt, aber glücklich, zurück im Camp. Die Freude über den bereitstehenden heißen Coca-Tee war unbeschreiblich und noch viel mehr freuten wir uns über die kurz darauf folgende heiße Mahlzeit. Das war schon ein verdammt anstrengender Tag. Von 7 Uhr morgens bis 7 Uhr abends legten wir etwa 35 Kilometer zurück. Bei einer Höhe um die 4.500 Meter war das in unseren Augen schon eine beachtliche Leistung, zumal wir an diesem Tag an die 1.700 Höhenmeter überwunden haben. Wir waren beide lange nicht mehr so fertig und schliefen dann auch etwas besser als die vorangegangene Nacht. Wohl auch, weil es diesmal nicht mehr ganz so kalt war und ich wusste, dass ich noch ein paar tolle Bilder des Nachthimmels auf den Speicherchip gebannt hatte. Jetzt endlich haben wir unser eigenes tolles Foto mit leuchtenden Zelten unterm Sternenhimmel.

Der Weg durch den Garten Eden

Wurde der dritte Tag leichter? Na ja, wie man’s nimmt. Mit dem ersten Tageslicht standen wir auf, um die letzte Etappe des Weges zu laufen, welche uns von 4.200 Metern zurück auf etwa 2.900 Meter bringen sollte. Was für ein Abstieg, der zunächst gemächlich begann und durch einen zugeschütteten See verlief (das Erdbeben von 2011 hat hier ganze Arbeit geleistet). In der großen sandigen Ebene waren zaghafte Versuche einer Wiederaufforstung zu sehen. Einige Andengänse fraßen sich zwischen frischem Grün an roten Algen satt. Was für ein Bilderbuchidyll.

Und dann kam der Abstieg. Drei Stunden steil bergab, das geht ganz gut auf die Knie. Immer wieder hielten wir an, um unseren Blick zurück schweigen zu lassen, die großartige Natur aufzusaugen und nicht mehr zu vergessen. Stückweise fühlte sich der Weg an wie ein Pfad durch den Garten Eden. Niedrige schiefe Mauern aus dunklem Naturstein, flaches frisches Grün, Kakteen, Aufsitzpflanzen auf den Bäumen und viele, viele Blüten in den verschiedensten Farben und Formen. Maria und ich waren regelmäßig die letzten in der Gruppe um unzählige Fotos zu schießen, damit ihr auch ein bisschen was davon habt.

Endlich erholen

Unsere Knie und Oberschenkel waren extrem erleichtert, als das Großhirn an den Rest des Körpers meldete: Ziel erreicht. Treck beendet. Regenerationsprogramm einleiten. Für eine Weile saßen wir einfach nur auf dem Rasen und genossen den Augenblick, klopften uns gegenseitig auf die Schulter und leckten unsere Wunden. Dumm nur, dass das Abendessen noch so lange auf sich warten ließ, da wir mal wieder schneller waren als der Guide erlaubte. Die ersten fünf Mitläufer verabschiedeten sich dann aber auch schon bald und traten den Rückweg nach Huaraz an. Wir verbliebenen Vier genossen zunächst mal eine riesige Portion salziges Popcorn und zeigten Maximo, dass wir dieses in Europa meist eher mit Zucker essen, was bei ihm ebenfalls verdammt gut ankam. Als es endlich Zeit fürs Abendessen war, verschlangen wir alle unsere Portion Spaghetti im Schein einer Energiesparlampe, als wäre es ein festliches 5-Gänge-Menü.

Deutsch-Französische-Ingenieursleistung par excellence

Für den letzten Tag wurde uns ein großartiger Luxus zugestanden: Wir durften uns unsere Aufstehzeit selbst aussuchen. Ratet mal, wofür wir uns entschieden. 06:30 Uhr. Wir sind schon ein bisschen bekloppt, oder? Gelohnt hat es sich in jedem Fall, denn es gab leckere Pancakes zum Frühstück. Frisch zubereitet im Küchenzelt und dampfend auf den Tisch gebracht.

Direkt danach hieß es Sachen zusammensuchen und ab zu den heißen Quellen des Ortes. Nur ein kleiner 40-minütiger Lauf bergab trennte uns noch von einem heißen Bad unter freiem Himmel. Der erste Blick vom Berg hinab auf das Bad sah erstmal ein wenig ernüchternd aus. Da war doch tatsächlich ein Schwimmbecken umgeben von einem Zaun. Beim Näherkommen stellte sich jedoch heraus, dass hier gerade noch gebaut wurde und es quasi erst demnächst hässlich steril wird. Die eigentliche Quelle lag ein paar Meter den Hang hinauf ein wenig versteckt.

Achtung, heiß!

Dort dampfte es ganz kräftig, da die Quelle mit stattlichen 70 Grad sprudelt. Ich habe da mal kurz meine Hand hineinhalten wollen, zog sie jedoch instinktiv wieder zurück, um einer Verbrennung zuvor zu kommen.

Unterhalb der Quelle waren aus Bruchsteinen zwei primitive Becken gebaut worden, in denen wir es uns gemütlich machen konnten. Ach ja, Eintritt zahlten wir keinen und wir waren in diesem Moment auch die einzigen Badewilligen. Badehose an und rein, aber ach du Schreck, die obere Wasserschicht ist warm bis heiß, an anderen Stellen jedoch eiskalt und alle tieferen Wasserschichten sind ebenfalls eiskalt. So war kein gemütliches Entspannen möglich.

Marc und Benoit starteten nun ein beispielloses Deutsch-Französisches Ingenieursprojekt, bei dem der heiße und der warme Wasserstrom in einem vorgeschalteten Becken gemischt wurden um anschließend wohltemperiert das Badebecken zu speisen. Der Kaltwasserzufluss wurde dabei so gestaltet, dass der Volumenstrom stufenlos geregelt werden konnte und damit auch die Wassertemperatur des Badebeckens. Was soll ich sagen: nach einiger Tüftelei funktionierte die Konstruktion perfekt und wir genossen ein perfektes Badeerlebnis. Unsere Muskeln waren ebenfalls sehr dankbar für diese Entspannungsphase.

Hallo wach!

Schlussendlich stand für uns nur noch die Rückfahrt nach Huaraz auf dem Programm. Mit einem Minibus wurden wir Richtung Hostel gekarrt, während wir ein wenig vor uns hindämmerten. Allerdings nur bis zu dem Moment, als unser Fahrer einen dieser allgegenwärtigen Speed Bumps übersah, das Auto einen Satz machte, wir mit dem Kopf gegen das Dach des Autos geschleudert wurden und das Gepäck aus dem Kofferraum zu uns auf die Rückbank hopste. Plötzlich waren wir alle hellwach und für den Rest der Fahrt wohl auch deutlich aufmerksamer. Die Dinger sind aber auch fies und spätestens jetzt war klar, warum alle Fahrer vor diesen Huckeln auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen.

Kaum in Huaraz angekommen, trafen wir, noch in unseren stinkigen Trekkingklamotten, in einer Pizzeria auf den Rest unserer Wandertruppe, die sich dort zum Fußball gucken verabredet hatten. Wir setzen uns für die zweite Halbzeit dazu und feierten unseren gemeinsamen Triumph über den Santa Cruz Treck. Am Abend taten wir dasselbe in einer anderen Pizzeria in geselliger Runde gleich noch ein zweites Mal, bevor wir noch am selben Abend den Nachtbus nach Lima bestiegen, um dort die nächsten Tage zu verbringen.

9 Comments

  1. Na da habt ihr ja gewaltig viel erlebt und geleistet! (Ein kleiner Teil von mir stellt auch zufrieden fest, dass sich die Schreibabstände langsam an meine Geschwindigkeit annähern. ;))
    Die Meerschweinchen zum essen sind schon krass. Und wenn die lebend ankommen, muss es da sehr laut zugehen. Die Bergfotos sind auch sehr schön. Da seid ihr ja wirklich hoch hinaus!
    Auf das Sternenfoto bin ich ein bisschen neidisch. Das ist echt ein super Schuss. Tja, ne Spiegelreflex ist schon was anderes, auch wenn ich keine Lust hätte, die immer auch noch zu schleppen…

    Auf jeden Fall ist es schön, wieder was von euch zu hören und ihr seht aus wie Zwei, die es echt genießen und auskosten.
    Weiter so! Und zeigt uns noch viel mehr von den wundervollen Fotos!! 🙂

    1. Ja, wir haben es die letzten Tage ganz schön schleifen lassen, aber nun haben wir ein paar Posts in der Pipeline. Hoffentlich brauchen wir für die nächsten nicht so lang.

      Auch wenn die Spiegelreflexkamera schwer ist, habe ich bisher nicht bereut, dass wir sie dabeihaben. Bei manchen Aufnahmen ist sie einfach unschlagbar.

      Mehr Bilder sind natürlich in Vorbereitung:-)

      Jan
  2. Schön wieder von euch zu hören. Ihr habt wieder tolle Bilder gemacht. Für das Sternenhimmel/Zeltfoto hätte ich mir wahrscheinlich auch die Hände oder Füße abgefroren. Nur weiß ich nicht ob ich nach so einer Wanderung noch lange wach gewesen wäre.
    Hut ab für eure Leistung. 🙂

    Mina
    1. Danke für die Blumen.

      Ich bin mir ziemlich sicher, dass Du Dir für dieses Bild zur Not Streichhölzer in die Augen gesteckt hättest. So einen Moment lässt man sich nicht entgehen.

      5 Minuten später lag ich im (doppelten) Schlafsack.

      Jan
  3. Ganz glücklich, wieder von euch zu hören (in Hannover hängen gerade alle am Bildschirm). Der Bericht lässt die Anstrengung fühlbar werden, auch wenn das Frieren im Augenblick hier kaum nachfühlbar ist, da wir bei 35° vor uns hinschmelzen.
    Die Fotos sind wieder derartig schön, es macht einfach nur Freude, sie anzuschauen. “Euer” “Biscuit-Animal” habe ich mal auf einem Foto gesehen und dachte bisher tatsächlich, das sei eine Fotomontage gewesen, jetzt erfahre ich, dass es diese Tiere wirklich gibt, ich glaub es ja nicht!
    Eure Leistungen bei diesen Touren sind wirklich absolut bemerkenswert, ich staune nur, wie gut ihr mit der Höhe zurecht kommt (oder ist das der Coca-Tee?).

    Kirsten55
    1. Die 35 Grad von euch sind hier gerade auch nicht nachvollziehbar, obwohl speziell nach Marias Meinung extrem erstrebenswert.

      Wie schön, dass wir mit dem Bild des Viscacha ein wenig Licht ins Dunkel bringen könnten.

      Für die Höhe hilft bei uns auch nur das, was allen anderen ebenfalls hilft: Zeit und Coca-Tee. Wie groß der Anteil des Tees tatsächlich ist vermag ich nicht zu sagen. Sollte er gleich null sein, dann schmeckt er zumindest lecker.

      Jan
  4. Wahnsinn! Ich bin schwer beeindruckt, was Ihr so leistet und erlebt! Leider bin ich kein so ganz ganz egelmäßiger Mitleser, sondern lese immer mal wieder ein paar Häppchen, aber ich finde Euren Blog wunderschön, toll geschrieben und bin sehr sehr beeindruckt von Euren Fotos! Was für tolle Erfahrungen! Wundervoll! Ich bin sehr gespannt auf weitere Abenteuer 🙂

    LG, Ulli

    Ulli
    1. Hallo liebe Ulli,

      wie schön, auch von Dir hier zu lesen und dann auch noch so tolle Komplimente! Ich verfolge ja nach wie vor, was bei Dir so passiert und denke häufig an die tollen Stunden auf “Deinem” Hof zurück.
      Also hab bitte kein schlechtes Gewissen, wenn Du nicht jede Zeile hier liest. Du wirst so oder so genug um die Ohren haben. Wir freuen uns einfach, wenn wir den Menschen daheim ab und zu etwas Nettes zu lesen bieten können. Umso besser, wenn sich jeder “seinen” Happen aussuchen kann.

      Viele Grüße, derzeit aus dem bitterkalten Bolivien, und bis zum nächsten Häppchen!
      Maria

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