Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, liegt nur 240 km nordwestlich von Bogotá und könnte doch unterschiedlicher kaum sein. Getrennt von der Landeshauptstadt durch die Zentralkordillere liegt Medellín etwa 1.000 Meter niedriger als Bogotá (und ist über Land nicht direkt zu erreichen). Die Stadt befindet sich allein dadurch schon in einer ganz anderen Klimazone, wobei ich abends und nachts doch etwas gefröstelt habe.
Aber auch Geschichte, Bevölkerung (immerhin noch 3,7 Millionen Einwohner!), Mentalität und Architektur Medellíns sind völlig anders. Den weitaus größten Einfluss auf diese Stadt hatten allerdings noch in jüngster Vergangenheit die hier ansässigen Drogenkartelle. Medellín war international immer wieder in den Schlagzeilen als gefährlichste Stadt der Welt mit der höchsten Mordquote, und das bis in die 1990er Jahre hinein. (1991 wurden 381 Morde pro 100.000 Einwohner gemeldet!) Einem ganz anderen Publikum wurde die Stadt dann ein Begriff durch die Netflix-Serie Narcos, über die ich hier aber keine weiteren Worte verlieren werde, da weder Jan noch ich die Serie gesehen haben. Damit konnten wir Medellín völlig unvoreingenommen erkunden und gerieten nicht einmal in Versuchung, eine der überall angepriesenen „Pablo Escobar-Touren“ zu buchen.
Alle so nett hier!
Das erste, was uns in Medellín auffiel, waren die extrem zuvorkommenden und höflichen Menschen. Bereits im Flugzeug von Santa Marta hierher kamen wir mit einem deutsch-kolumbianischen Pärchen ins Gespräch, die uns dann auch bis zum richtigen Bus brachten. Der Taxifahrer, der uns von der Bushaltestelle zu unserem Hostel bringen sollte, kam aus dem Schwärmen über Medellín gar nicht mehr heraus, während er sämtliche Ampeln bei Rot überquerte (es war bereits mitten in der Nacht und daher glücklicherweise sehr ruhig auf den Straßen).
Mit unserem Hostel haben wir übrigens einen richtigen Glücksgriff getan. Hier war sogar die Küche so sauber, dass wir prompt wieder auf Selbstverpflegung umstiegen. Und um das Budget weiter zu schonen – wir hatten schließlich noch eine teure Exkursion in Kolumbien geplant – buchten wir uns ein Doppelbett in einem Schlafsaal, den wir dann mit fünf Israelis teilten.
Und täglich grüßt Botero
Dass Medellín, abgesehen von seiner blutigen Vergangenheit, keine richtig große Sehenswürdigkeit besitzt, befreite uns etwas von dem Gedanken, eine „Must-see-Liste“ abzuarbeiten und so ließen wir uns in den zwei vollen Tagen, die wir hier waren, vor allem durch die Stadt treiben.
Gleich zu Beginn stolperten wir über das Museo de Antioquia (Antioquia ist der Name des Deparamentos, in dem Medellín liegt und dessen Hauptstadt es ist) und dem davor gelegenen Plaza Botero. Wie der Name schon verrät, hat der in Kolumbien allgegenwärtige Fernando Botero für diesen Platz 23 riesige Skulturen gestiftet. Und auch das Museum selbst beherbergt fast ausschließlich seine Werke und solche aus seiner Sammlung (alles ebenfalls Geschenke von Botero an das Museum).
Das Dörfchen in der Stadt
Auf einem kleinen Hügel mitten in der Stadt liegt das Pueblito Paisa, der Nachbau eines typischen antioquinischen Dörfchens. Die Medellíner pilgern hier am Wochenende wohl zu Tausenden hin, so wichtig ist ihnen dieses Pueblito. Wir selbst fanden es ein wenig zu touristisch und zu wenig informativ. Dafür ist die Aussicht über die Stadt von hier ganz nett (wobei wir kurz darauf noch deutlich bessere Blicke auf Medellín haben würden).
Hoch hinaus mit dem Metrocable
Eigentlich bereits auf dem Heimweg, entschieden wir uns nämlich spontan, eine Fahrt mit dem berühmten Metrocable zu machen. Diese Seilbahn, erst 2004 eröffnet, verkehrt inzwischen auf drei Strecken und hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Medellín heute sicherer ist als jemals zuvor.
Die Stadt erstreckt sich nämlich zwischen zwei Bergzügen entlang des Río Medellín (innerhalb der Stadt in ein enges Bett aus Beton gezwängt). Als Mitte des 20. Jahrhunderts immer mehr Menschen nach Medellín strömten, um teilzuhaben am Aufschwung der Kaffee- und Textilindustrie, siedelten sich diese Leute vornehmlich an den Berghängen an. Je größer Medellín wurde, desto weiter wuchs die Stadt auch die Berge hinauf. Allerdings gab es hier oben keinerlei Infrastruktur – kein fließend Wasser, keine Elektrizität und keine Anbindung an das öffentliche Leben im Tal. Weder die Stadt noch das Land fühlten sich zuständig und schnell konnten Drogenkartelle Fuß fassen, darunter Escobars Medellín-Kartell.
Nachdem die Situation untragbar wurde, gab es großangelegte Säuberungsaktionen in einigen dieser Problemviertel und schließlich fassten sich auch die Politiker ein Herz und es wurde kräftig investiert. Allerdings ist es noch heute so, dass man in diesen Vierteln vergeblich auf einen Krankenwagen wartet, weil die einfach nicht in diese Bezirke fahren.
Die Seilbahn ist ein Teil dieser Investitionen und bindet nun zumindest einige an den Hängen gelegene Viertel an die Stadt an. Und hier merkt man ganz deutlich, wie wichtig eine funktionierende Infrastruktur und Mobilität für die Menschen sind: Sie können nun in den wohlhabenderen Vierteln arbeiten und bringen damit mehr Wohlstand nach Hause, womit wiederum eine höhere Ausbildung ihrer Kinder und weniger Anfälligkeit für Bandenaktivitäten und andere Kriminalität einhergehen.
Die Metrocable-Linie, für die wir uns entschieden, führt nach Osten und endet nach drei Stationen. Diese drei Stationen – in gemütlichem Tempo entlangzuckelnd – reichen aber, um einem einen Eindruck von dem Gewusel und dem scheinbaren Chaos entlang der Berghänge zu vermitteln. Man fährt über Wellblechdächer, manche kunstvoll bemalt, kann in Höfe und auf Balkone schauen, sieht Kinder spielen, Mütter an Obstständen verhandeln und leider auch ein paar Junkies im Park abhängen.
Am Ende dieser Linie hat man nun die Gelegenheit, in ein anderes Metrocable umzusteigen, welches dann auch noch einmal kostet. Bisher war nämlich alles im normalen Metro-Ticket inkludiert. Uns jetzt geht es richtig los: Keine Zwischenstopps, dafür immer weiter hinauf und hinaus aus der Stadt. Wir fahren über Felder, über kleine Hütten, deren Bewohner in diesem Jahr garantiert noch nicht in Medellín waren. Von hier scheint die Stadt eine halbe Weltreise entfernt zu sein. Nach zehn Minuten ist immer noch keine Haltestelle in Sicht. Stattdessen überqueren wir den Gipfel des Berges und gondeln langsam wieder nach unten.
Über eine Viertelstunde sind wir mit dieser Seilbahn unterwegs, bis wir am Ziel eintreffen: Dem Parque Ecoturístico Arví, der erst seit einigen Jahren geschützt wird und den Medellínern als naturnahes Ausflugsziel dient. (Früher entsorgte die Kokain-Mafia hier von ihr ungeliebte Personen. So können sich die Dinge ändern.) Für eine der wohl sehr schönen Wanderungen sind wir leider zu spät dran. Wie an so vielen Orten hat auch dieser Park Öffnungszeiten und um 17:00 muss jeder raus sein. So genießen wir vor allem die Seilbahnfahrt zurück und den Blick über Medellín, der sich langsam wieder vor uns auftut.
Straßenkunst gegen Kriminalität
Vielleicht hat Medellín keine „echte“ Sehenswürdigkeit, aber wenn man herumfragt, was man hier auf keinen Fall verpassen soll, dann bekommt man immer (wirklich immer!) die gleiche Antwort: Comuna 13. Dieser Stadtteil, der eigentlich aus mehreren Vierteln besteht, befindet sich ebenfalls oberhalb der Innenstadt und galt lange als gefährlichster Bezirk einer ohnehin schon sehr gefährlichen Stadt. Hier regierten die Drogenkartelle unangefochten und hier setze kein Polizist einen Fuß hinein. Bei den Gefechten zwischen Guerilleros, Paramilitärs, Drogenmafia und Soldaten und bei der großangelegten Säuberungsaktion des Militärs 2002 litt vor allem die Bevölkerung von Comuna 13. Sie waren es, die schließlich, weiße Fahnen schwenkend, ein Ende der Gewalt einforderten. Zu viele von ihnen waren bereits gestorben.
Heute ist Comuna 13 ein Bezirk, an dem man sich zumindest tagsüber recht sicher bewegen kann. Trotzdem war uns wohler dabei, uns einer geführten Graffiti-Tour anzuschließen. In Bogotá hatten wir damit ja schon gute Erfahrungen gemacht.
Die Streetart-Szene Medellíns ist noch relativ jung und viele der schrecklichen Ereignisse, die in Zusammenhang nicht nur mit den Drogenkartellen stehen, fanden vor nicht einmal zwanzig Jahren statt. Sie stecken also noch tief in den Knochen der Künstler und daher beschäftigt sich ein Großteil der Streetart hier mit eben jenen Ereignissen. Da sieht man weiße Tücher schwenkende Tiere, fantasievolle Gesichter, die den Übergang zwischen der gewaltvollen Vergangenheit und einer besseren Zukunft darstellen und überall Symbole für Frieden, Liebe, Hoffnung. Man merkt, wie tief die Wunden in dieser Stadt sind, aber auch, wie groß die Hoffnung ist, dass der eingeschlagene Weg hin zu mehr Wohlstand und Frieden weiter begangen wird.
In der Comuna 13 befindet sich übrigens auch ein System öffentlicher Rolltreppen. Dieses einfache, aber effektive Transportmittel ist ein weiteres Beispiel dafür, wie man in Medellín daran arbeitet, die abgehängten Stadtteile wieder mit dem Zentrum zu verbinden.
Ein wenig Natur
Nach dem Häusergewimmel der Comuna 13 war uns mehr nach etwas Grünem und so fuhren wir zum Jardín Botánico, also dem botanischen Garten Medellíns. Dieser wirbt mit einer großen Orchideensammlung, einem Schmetterlingshaus und vielem mehr. Vielleicht aufgrund der Regenzeit waren diese Attraktionen leider nicht geöffnet. Auch das hier residierende Faultier ließ sich nicht blicken, Dafür konnten wir hier wieder viele große Leguane bestaunen (von denen einer so gut im Laub getarnt war, dass ich beinahe draufgetreten wäre) und einige Schildkröten gaben sich ebenfalls die Ehre.
Abgesehen davon warf uns der botanische Garten nicht unbedingt um, so dass wir lieber noch ein wenig umherschlenderten und verschiedenes Streetfood ausprobierten (wie auch immer diese etwas nach Kastanien schmeckenden Früchte heißen – mit Honig sind sie einfach köstlich!). Zufällig liefen wir dabei am Cementerio de San Pedro vorbei, der sogar den Status eines Museums hat und ganz anders weil viel aufgeräumter ist als die Friedhöfe, die wir bisher gesehen haben.
So richtig können wir nicht sagen, weshalb es uns in Medellín so gut gefallen hat. Vielleicht war es das gute Wetter oder unser Wohlfühl-Hostel. Vielleicht auch der Kontrast zwischen prekär gebautem Chaos an den Berghängen und hochmoderner Metro. Vielleicht die Menschen, vielleicht das Lichtermeer, mit dem einen Medellín nachts begrüßt, vielleicht das gute Essen oder dass wir uns hier einfach nur treiben lassen konnten. In jedem Fall hätten wir hier noch viel mehr Zeit verbringen können, wenn nicht so tolle Dinge auf uns warten würden – Buntes in Guatapé und danach ganz viel Natur.
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Was für eine Fülle von interessanten und auch krass gegensätzlichen Eindrücken in einer Stadt. Vielleicht ist es das, was so reizvoll ist, so spannend und scheinbar auch entspannend (nette Menschen tragen natürlich sehr viel dazu bei). So tolle Street-Art wäre bei uns auch willkommen.
Die Früchte sehen aus wie eine Art Papaya, sehr lecker. Immerhin haben wir hier gerade Kirschen. ?
Na, mit Kirschen könnte man mich ja nicht locken. ?
Die Früchte heißen übrigens Chontaduros, so viel haben wir zumindest schon herausgefunden. Geschmacklich ähneln sie eher Kastanien, die ich ja auch sehr gerne habe.
Die Früchte, bzw. der Baum an dem sie wachsen, heißt hier “Pfirsichpalme”. Sie werden offenbar auch für Sorten des “Spuckebier” genutzt. Zumindest behauptet das Wikipedia.
Na, dann guten Appetit. ?
Ah, gut zu wissen! Warum haben wir dann diese Sorte Chicha nicht getrunken, frage ich mich. Das wäre sicher angenehmer gewesen.
Wenn die Pfirsichpalme jetzt auch noch in Deutschland wachsen würde… Aber man soll ja nicht zu gierig werden. Immerhin durften wir hier von ihren Früchten kosten.
Na ihr macht Sachen. An diesem Ort wäre mein Bedürfnis nach Sicherheit wahrscheinlich nicht ganz befriedigt worden. ^^”
Eigentlich haben wir uns gar nicht unsicher gefühlt. Wir waren allerdings auch nie mitten in der Nacht unterwegs und haben uns immer in belebten Gegenden aufgehalten.
Toll, dass ihr Zeit hattet die Stadt anzuschauen! Ich war immer nur auf Dienstreise dort und habe leider mäßig viel gesehen… Hoffe ihr habt eine bandeja paisa genossen!
Mea culpa, das haben wir leider nicht. Verdammt, jetzt will ich am liebsten zurück und mich noch einmal durch die Stadt futtern. Momentan sind wir mehr auf Streetfood fokussiert, einfach weil es lecker und günstig ist…