Chiang Mai: thailändische Gastfreundschaft, thailändische Klischees

Chiang Mai: thailändische Gastfreundschaft, thailändische Klischees

Wir erwähnen selten die Unterkünfte, in denen wir nächtigen. Das liegt zum einen daran, dass wir ohnehin schon genug Worte brauchen, um unsere Erlebnisse hier festzuhalten. Zum anderen sind die meisten unserer Hostels, Zimmerchen oder Absteigen am Ende gar nicht sooo bemerkenswert.

Aber manchmal ist eine Unterkunft so außergewöhnlich, dass sie unseren Aufenthalt in und unseren Eindruck von der jeweiligen Stadt maßgeblich mitbestimmt. Abgesehen von den Orten, an denen wir bei Freunden oder Kollegen wohnen durften, fallen uns da spontan das Camp auf den Perhentian Islands in Malaysia ein, unsere kleine Oase auf Koh Chang in Thailand oder auch die wunderbare Pension in Samaipata in Bolivien.

(Der Vollständigkeit halber: Es gab während unserer Weltreise natürlich auch Negativbeispiele. Die haben es geschafft, uns Orte gründlich zu verleiden. In Kolumbien haben wir beispielsweise gleich zweimal ordentlich daneben gegriffen: Einmal in Mompós und später noch einmal in Minca.)

Fast wie daheim

In Chiang Mai nun erwartete uns wieder so ein Juwel von einer Herberge. Wobei die Unterkunft selbst eher nicht glänzte. Das war mehr so eine Art Homestay auf Thailändisch. Es war die Inhaberin, eine kleine, immerzu lächelnde und niemals schlecht gelaunte Thailänderin namens Nuy, die unseren Aufenthalt einzigartig machte.

Und nicht nur unseren. Jeder der Gäste, die wir dort kennenlernten, fühlte sich wie zu Hause. Und das führte wiederum zu einem schönen Miteinander der unterschiedlichsten Kulturen. Wir trafen bei Nuy Franzosen und Belgier, Argentinier, Italiener und einen Ukrainer, die in vielerlei Hinsicht die Quintessenz der Backpackergesellschaft verkörperten.

Einen großen Anteil an der allgemeinen Wohlfühlatmosphäre hatte sicher auch das unglaubliche Essen, das Nuy jeden Abend für alle servierte. Da wurde nämlich ein großes, abwechslungsreiches Buffet aufgefahren und das völlig kostenfrei! Weil sie auch unsere Wäsche gratis machte, Fahrräder kostenlos auslieh und es natürlich Frühstück, Wasser, Tee und Kaffee gab, fragen wir uns bis heute, wie sie mit ihrem Gasthaus Geld machen kann.

Eine „einfache“ Stadt

Nuy’s Unterkunft „Like Home“ wäre an jedem Ort einen Besuch wert gewesen. Hier aber befanden wir uns in Chiang Mai, dem thailändischen Festland-Mekka für Backpacker und Auswanderer schlechthin. Was Luang Prabang für Laos ist, ist Chiang Mai für Thailand. Es gibt eine sehr lebendige Szene von Zugereisten, Hängengebliebenen, Langzeiturlaubern und Lebenskünstlern. Wer sich in Thailand zu den „digitalen Nomaden“ zählt, der landet in aller Regel hier.

Chiang Mai hat sich entsprechend darauf eingestellt und an allen Ecken und Enden findet man kleine, niedliche Cafés mit gutem WLAN, garantiert handgemachte und biologische Souvenirs, Selbstverwirklichungsprojekte und die klassischen Tourenanbieter. Das macht Chiang Mai zu einer für Reisende sehr einfachen, wenn auch vergleichsweise teuren Stadt.

Glücklicherweise hat Chiang Mai darüber hinaus auch noch etwas für den kulturell und/oder historisch und/oder zeitgenössisch interessierten Reisenden zu bieten. Chiang Mais Altstadt befindet sich innerhalb eines überschaubaren, beinahe quadratisch angelegten Areals im Zentrum der Stadt. An den Ecken dieses Quadrats kann man noch die Überreste der ehemaligen Stadtmauer sehen. Und darum herum steht das Wasser im alten Stadtgraben.

Die Straßen innerhalb der Altstadt sind recht schmal und so bleibt ein Großteil des dichten Stadtverkehrs außen vor. In diesem Innersten von Chiang Mai stehen auch, wie sich das für eine ordentliche thailändische Großstadt gehört, Dutzende von Tempeln. 75 sollen es sein und bevor nun der eine oder andere innerlich aufheult: Wir haben sie uns natürlich nicht alle angeschaut. (Inzwischen verspüren sogar wir erste Anflüge von Tempelmüdigkeit.) Also keine Panik, wir werden es diesmal ein wenig kürzer halten mit den Tempeln.

Reglose Mönche

Die beiden wichtigsten Tempel in der Altstadt sind Wat Phra Singh und Wat Chedi Luang.

Wat Phra Singh ist ein königlicher Tempel, dessen Bedeutung vor allem auf den Phra Phuttha Sihing Buddha zurückzuführen ist. Den haben wir uns aber gar nicht näher angeschaut. Denn ehrlicherweise sind wir irgendwann auch ein bisschen Buddhastatuen-müde geworden. Wir sparten uns deshalb den Eintritt ins innerste Heiligtum und spazierten lieber über die gepflegte Außenanlage, spähten in die diversen anderen Gebäude und staunten über den strahlenden Goldglanz des zentralen Chedis.

Im Wat Phra Singh sahen wir außerdem wieder diese etwas furchterregenden, lebensechten Skulpturen verstorbener Mönche, die uns schon früher in Thailand aufgefallen waren. Jan insbesondere gruselt sich ordentlich davor. Vor allem weil sie immer so unvermittelt in einem Raum sitzen und sich – ganz statuenhaft – nicht im Geringsten rühren. Erst bei genauerem Hinsehen stellt man dann fest, dass es eben doch kein lebender Mensch ist. Dass viele dieser Figuren in Glaskästen sitzen, macht die Sache nicht wirklich besser.

Ein grüner Buddha

Die Anlage des Wat Chedi Luang ist weniger majestätisch als Wat Phra Singh, gefiel uns aber mindestens eben so gut. Bestimmt wird diese Tempelanlage durch einen riesigen, halb zerstörten Chedi aus dem Jahr 1441. In einer der vier Nischen befand sich einst der berühmte Smaragd-Buddha Phra Kaew, der inzwischen in Bangkok im gleichnamigen Tempel des Königspalastes untergekommen ist. In Chiang Mai steht nun immerhin eine Replik, die allerdings so weit oben sitzt, dass sie kaum zu erkennen ist.

Die Anlage von Wat Chedi Luang ist mehr eine lose Sammlung verschiedener Gebäude, die um den zentralen Chedi angeordnet sind. Eins davon war einmal die Bibliothek, die heute eine willkürlich anmutende Sammlung alter Fund- und Ausstellungsstücke beherbergt. Vom Dachstuhl aus hat man allerdings einen guten Blick auf den Chedi – wenn man sich denn an der bebrillten Figur eines kleinen Mönches vorbeiwagt, die hier oben Wache hält.

Dunkles Holz

Im Schatten von Wat Chedi Luang liegt ein kleinerer Tempel, der besondere Erwähnung verdient. Wat Phan Tao ist ein Monument des Teakholzhandels. 28 große Teak-Säulen stützen das Dach der Haupthalle, die gesäumt ist von dunklen Teak-Panelen.

Man kann gut und gerne einen ganzen Tag in Chiang Mais Altstadt verbringen und all diese kleinen und mittelgroßen Tempel entdecken. Auch wir haben noch in den einen oder anderen hineingeschaut oder über Mauern gespäht. Der lebendig gehaltene Glauben und die scheinbar mühelose Verknüpfung von Alltag und Religion machen für uns immer noch einen Großteil der Faszination buddhistischer Länder aus. Und so gibt es selbst nach dem hundertsten Tempel Neues zu entdecken oder Bekanntes wiederzuentdecken. Wir erinnern uns an Tempel oder Buddhastatuen, die wir woanders schon gesehen haben, erkennen mehr und mehr Zusammenhänge, Bedeutungen und Symbolik.

Der arme Elefant

So spannend und wichtig die Tempel in der Altstadt auch sind – der wichtigste Tempel Chiang Mais befindet sich ein Stückchen außerhalb (und oberhalb) davon. Die Gründungslegende von Wat Phra That Doi Suthep besagt, dass hier eine Reliquie Buddhas unter dem goldenen Chedi liegen soll. Diese Reliquie ist Teil eines größeren Stücks, das eigentlich im Wat Suan Dok, ebenfalls in Chiang Mai, aufbewahrt werden sollte. Die Reliquie zerbrach jedoch. Weil es Unglück bringen sollte, beide Stücke am gleichen Ort zu behalten, wurde ein Teil auf den Rücken eines weißen Elefanten geschnallt. Dieser Elefant steuerte dann schnurstracks auf den Berg Doi Suthep zu. Für die Strecke brauchte er drei Tage, während denen er nur dreimal rastete. Auf Doi Suthep angekommen, trompetete er drei Mal, kniete vor dem dort lebenden Einsiedler Wasuthep nieder und verstarb. Das nahm man als Zeichen, an diesem Ort einen Tempel zu bauen, um die zweite Reliquie zu beheimaten.

Vom Fuß des Berges führt ein selten genutzter Pilgerpfad, der „Mönchspfad“ zum Wat Phra That Doi Suthep. Nimmt man diesen Weg, so kommt man zwar schweißgebadet, aber immerhin in weniger als drei Tagen am Tempel an.

Tempel mit Orakel

Den Haupteingang von Wat Doi Suthep erreicht man über eine sehr lange, sehr ikonische Treppe mit 200 bis 306 Stufen, die flankiert wird von zwei Nagas, also Schlangen. (Da zähle ich ein einziges Mal nicht die Stufen und dann liegen unsere Quellenangaben dermaßen weit auseinander…) Da wir allerdings den Hintereingang nahmen (nicht weniger anstrengend, vor allem nach dem langen Aufstieg vom Fuße des Berges), wurde uns dieser Anblick erst beim Verlassen des Tempels zuteil.

Dafür führte unser Weg durch die Wohnquartiere der Mönche. Sich quasi hinter den Kulissen zu bewegen war interessant und ein bisschen aufregend. Wir wussten anfangs nämlich nicht so ganz genau, ob wir hier überhaupt herumspazieren durften. Aber offenbar war das völlig in Ordnung.

Die Tempelanlage von Wat Doi Suthep wird dominiert von dem 16 Meter hohen, strahlend goldenen Chedi, unter dem die Reliquie Buddhas liegen soll. Wie in allen buddhistischen Tempeln gibt es hier noch viele weitere spannende Details zu entdecken. Neben all den unterschiedlichen Buddhafiguren sind da weitere Statuen (natürlich auch von diesen leblosen Mönchen), kunstvolle Wandgemälde, Inschriften (hier beispielsweise viele Plaketten mit noblen Spendern) und nicht zu vergessen die Architektur der Gebäude. An diesen Giebelaufsätzen und Dächern kann ich mich nie sattsehen!

In einer kleinen Nische fanden wir eine Art Regal mit chinesischen Prophezeiungen. Da wir keine Ahnung hatten, nach welchem System man sich die aussuchen sollte, wählten wir einfach irgendeine Nummer. Laut Jans Nummer 17 werde er viel Glück erhalten. Er werde von jedermann geliebt. Bezüglich seiner geliebten Person werde er sehr glücklich sein und einen Jungen bekommen. Seine Freunde, Cousins und Schuldner werden ihn besuchen. Und er müsse seinen Gerichtprozess gewinnen. Na mal sehen… (Meine Nummer 15 kam übrigens etwas bescheidener daher. Ihr zufolge solle ich auf mich selbst aufpassen, respektvoll sein und jeden Tag beten, da das glücksbringend sei.)

Ein Tempel im Wald

Der „Mönchspfad“ zum Wat Doi Suthep führt nicht nur durch den Nationalpark, der hier 1981 eingerichtet wurde. Auf etwa halbem Weg steht auch der Wat Pha Lat, den Viele als der schönste Tempel Chiang Mais bezeichnen. Da er etwas abseits der ausgetretenen Pfade liegt, wird er allerdings jeden Tag nur von einer Handvoll Touristen besucht.

Versteckt im dichten Wald liegt eine Tempelanlage, die unsere Herzen höher schlagen ließ. Kleine Tempel, verrückte und wunderschöne Skulpturen, Teiche und sogar ein Wasserfall bilden ein beinahe märchenhaftes Ensemble. (Der Wasserfall fiel allerdings aufgrund der Trockenheit nicht so spektakulär aus – oder wir haben den falschen Wasserfall gesehen.) Wir hatten beim Umherwandern und Fotografieren richtig die Zeit vergessen, müssen aber bestimmt eine gute Stunde hier gewesen sein.

Keine einzige Frau auf der Bühne

Bevor wir Thailand wieder verlassen würden, wollte ich die Gelegenheit nutzen, zwei weitere Aspekte der modernen Thai-Kultur zu erleben. Eine Ladyboy-Show (meist ein wenig irreführend als „Cabaret“ bezeichnet) hatte ich vor sechseinhalb Jahren schon einmal in Bangkok gesehen und erinnerte mich vor allem an sehr gute Unterhaltung. Das wollte ich Jan unbedingt noch zeigen.

Zufälligerweise wollten einige andere Gäste unserer Unterkunft an eben jenem Abend ebenfalls zu einer Show, die sie in höchsten Tönen lobten. (Zwei der Dauergäste von Nuy verbrachten dort gefühlt jeden dritten Abend.) Gerne schlossen wir uns an und bereuten es nicht.

Die Ladyboy-Show, oder halt das Cabaret, besteht im Kern aus einer Reihe von Darbietungen, bei der zu Playback „gesungen“ und getanzt wird. Kostüme und Stil sind bei keinen zwei Liedern gleich, reichen von sexy über sinnlich bis hin zu trashig und werden in aller Regel mit einer ordentlichen Portion Augenzwinkern rübergebracht. Oh, und keiner der Darsteller wurde als Frau geboren! Ein Fakt, den man bei manchen der Damen auch nach mehrmaligem Hingucken nur schwer glauben kann.

Muay Thai

War Jan für das Cabaret noch durchaus zu begeistern, tat er sich mit meinem letzten Ausflugsziel sichtlich schwer. Ich wollte einmal zu einem Muay Thai Wettkampf gehen, traute mich aber nicht allein, weshalb er schlussendlich mitging (und es bitterlich bereute). Im Nachhinein betrachtet hätte ich problemlos ohne Begleitung gehen. Oder es gleich ganz sein lassen können, denn begeistert war ich auch nicht.

Muay Thai ist der Nationalsport Thailands und hat seine Ursprünge in den kriegerischen Auseinandersetzungen des Altertums. Verlor ein Krieger seine Waffen, so kämpfte er mit bloßen Händen und Füßen weiter.

Auch wenn heute einige „Techniken“ nicht mehr erlaubt sind, wie beispielsweise Kopfstöße oder Schläge beziehungsweise Tritte gegen den Hinterkopf, die Knie, den Unterleib und die Genitalien, bleibt Muay Thai ein ziemlich brutaler Kampfsport. Da hilft auch die rudimentäre Schutzbekleidung für den Unterleib und die Zähne wenig.

All dessen war ich mir bewusst, bevor wir zum Stadium fuhren. Worauf ich nicht vorbereitet war, war das Alter der meisten Kämpfer. In sechs Kämpfen, die an diesem Abend stattfanden, kämpften höchstens vier Teilnehmern, die über 18 Jahre alt waren. Die jüngsten, die quasi zur Abschlussbelustigung auftraten, mögen keine acht Jahre alt gewesen sein und wussten kaum, wo sie hinlaufen sollten. An dieser Stelle verließen wir das Stadium und warteten draußen auf unseren Fahrer.

Ich glaube, dass ich mit dem Abend weit weniger Probleme gehabt hätte, wenn die Kämpfer nicht so furchtbar jung (und so furchtbar ungeschützt) gewesen wären. Denn ich bin der Überzeugung, dass die Ausübung eines Kampfsportes auch Kindern und Jugendlichen Werte wie Respekt, Disziplin und Teamgeist beibringen kann. Dann doch aber bitte, ohne sie spätnachts zur Belustigung von Touristen aufeinander zu hetzen!

4 Comments

  1. Es macht soviel Freude in diesen Zeiten Reiseberichte zu lesen. Wirklich toll geschrieben. Es fühlt sich beim Lesen ein wenig so an, als wäre man selbst dort. Thailand werden wir auch besuchen wenn es wieder möglich ist.

    Stephan
    1. Ich stelle fest: Das nächste Mal sollte ich mit einem Profi wie dir nach Chiang Mai fahren. Ich habe definitiv einiges nicht gemacht, was dieser Ort anscheinend noch zu bieten hatte.
      Aber immerhin war mein Aufenthalt nicht ganz Ladyboy-frei. Wir hatten da eine hübsche Ausgabe an der Rezeption unserer Unterkunft. 🙂

      Tinuz
      1. Oh wie nett – Ladyboy-Rezeptionist:in. Das war bestimmt witzig.
        Ich gebe zu, dass ich von meinem ersten Besuch in Chiang Mai profitiert hatte. Und dann ist es natürlich sehr hilfreich, dass dein Bruder so viel Ausdauer beim Erkunden und Sightseeing hat. Und das nächste Mal gerne zu dritt!

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